Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 244: Identitätspolitik zwischen Selbstbestimmung und Abspaltung

Staats­leis­tungen der Länder an die Kirchen (Stand: 2024)

Jedes Jahr zahlen die Bundesländer – mit Ausnahme von Bremen und Hamburg – erhebliche Summe an die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland. Diese staatlichen Zuwendungen (Staatsleistungen genannt) werden seit Jahrzehnten entrichtet und steigen kontinuierlich an. So stiegen die Staatsleistungen 2024 wieder um 2,7 Prozent und belaufen sich in diesem Jahr auf über 618 Millionen Euro. Die Humanistische Union (HU) veröffentlicht seit einiger Zeit die landesbezogenen und die Gesamtbeträge der jährlichen Staatsleistungen an die beiden Kirchen – zuletzt in den vorgängen Nr. 237/38 (1-2/2022). Damit erinnert sie an den seit mittlerweile 105 Jahren bestehenden Verfassungsauftrag, diese Zahlungen einzustellen (Artikel 140 Grundgesetz i.V.m. Artikel 138 Weimarer Reichsverfassung). Die Veröffentlichung der jeweils aktuellen Zahlen soll als verlässliche Basis dienen für den sich abzeichnenden politischen Prozess zur Ablösung.

 

Die Staatsleistungen der Länder an die evangelische und die katholische Kirche werden sich in diesem Jahr auf 618,362 Millionen Euro belaufen. Davon soll die evangelische Kirche 364 Millionen Euro, die katholische Kirche 254 Millionen Euro erhalten. Dies ergibt sich aus den Haushaltsplänen der 14 betroffenen Bundesländer, welche die Humanistische Union (HU) regelmäßig seit vielen Jahren auswertet (Hamburg und Bremen kennen keine Staatsleistungen). Gezahlt werden die Staatsleistungen aus dem Steueraufkommen aller Bürgerinnen und Bürger, auch derjenigen, die keiner Kirche angehören. Die jährliche Steigerung, in diesem Jahr um circa 2,7 Prozent, beruht darauf, dass die Zahlungen der Länder regelmäßig mit dem Anstieg der Beamtenbesoldung anwachsen – ungeachtet der stark sinkenden Zahl der Kirchenmitglieder. Betrugen die Staatsleistungen etwa im Jahr 1970 noch 122 Millionen Euro bei 91-prozentiger Kirchenmitgliedschaft (in Westdeutschland), so bekommen die Kirchen heute jährlich das Fünffache – bei einer Mitgliedsquote von nur noch 47 Prozent. Insgesamt erhielten die Kirchen allein seit 1949 rund 21,3 Milliarden Euro von den Ländern. Diese Summe ist nicht zweckgebunden und unabhängig von der Kirchensteuer sowie zusätzlichen Finanzmitteln aus staatlichen Zuwendungen an die Kirchen für soziale und karitative Zwecke.

Die Staatsleistungen beruhen auf alten Rechtstiteln, welche allerdings bisher von niemandem, auch nicht von den Kirchen, genauer benannt und beziffert worden sind. Die deutschen Verfassungen fordern schon seit 105 Jahren die Ablösung der Zahlungen: zunächst die Weimarer Reichsverfassung von 1919, später das Grundgesetz von 1949. Der Verfassungsauftrag wird jedoch von Regierungen und Parlamenten des Bundes und der Länder bisher ignoriert. Die Ampelkoalition hat zwar im Koalitionsvertrag von 2021 versprochen, „einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen“ in einem Grundsätzegesetz zu schaffen. Bisher gibt es aber keinen Gesetzentwurf; es sind noch nicht einmal Überlegungen der Bundesregierung bekannt geworden, auf welche Weise das Versprechen realisiert werden soll. Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der zahlungspflichtigen Länder haben schon vor einem Jahr einmütig ihre Absicht bekundet, sich einer Ablösung der Staatsleistungen auch weiterhin zu widersetzen. Es sieht also danach aus, dass die Bürgerinnen und Bürger damit zu rechnen haben, auch weiterhin die Kirchen – entgegen dem Verfassungsauftrag – alimentieren zu müssen.

 

Aktuelle Erläu­te­rungen zu den Tabellen

Die von der Humanistischen Union vorgelegten Übersichten zeigen die für das aktuelle Jahr in den Haushaltsplänen der Länder (außer: Bremen und Hamburg) eingeplanten Staatsleistungen an die beiden Kirchen (Tabelle 1) als auch die seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (1949) geleisteten Zahlungen (Tabelle 2). Die Angaben beruhen auf den Haushaltsplänen der Länder, in Einzelfällen auch auf Auskünften der zuständigen Ministerien oder auf Parlamentsdrucksachen.

Die Übersichten enthalten nur die von den Ländern geplanten bzw. geleisteten positiven Staatsleistungen. Darin nicht enthalten sind die Einnahmeausfälle, die der öffentlichen Hand durch Befreiungen der Religionsgemeinschaften von Steuern, Gebühren und Beiträgen entstehen (sogenannte negative Staatsleistungen). Zu den weiteren Erläuterungen, welche der zweckfreien Zuwendungen hier unter dem Begriff der Staatsleistungen zusammengefasst werden (und welche Zahlungen nicht zu den Staatsleistungen zählen), sei auf die Ausführungen in den früheren Veröffentlichungen verwiesen, insbesondere die Dokumentation in vorgänge Nr. 208 sowie den Beitrag von Johann-Albrecht Haupt in vorgänge Nr. 189.

Hinweise zu Tabelle 1

Spalte 1: Hamburg und Bremen kennen keine Staatsleistungen

Spalten 2-4: Nach den Haushaltsplänen/Haushaltsplanentwürfen der Länder für 2024.

Sachen: Sachsen: errechnet: Ansatz minus 1,07 Millionen (jüdische Gemeinden), vom Rest: Ev. K. 96,15 %; Kath. K. 3,85 %.

Spalte 5: Statistisches Bundesamt, Stand: 20.06.2023.

Spalten 6, 8–10: errechnet.

Spalte 7: EKD Kirchenmitgliederzahlen Stand: 31.12.2022 – Kurztabellen (Juni 2023).

Spalte 8: DBK Jahresstatistik 2022 (Stand 28.6.2023).

Hinweise zu Tabelle 2

Die Zahlen basierend auf den Haushaltsplänen der jeweiligen Bundesländer seit 1949.

Baden-Württemberg (BW): 1949 und 1950 nur Haushaltspläne für Baden und Württemberg-Hohenzollern, die in speziellen Landesarchiven lagern.

Nordrhein-Westfalen (NW) 1949: Interpolation zwischen 1948 und 1950.

Gegenüber der letzten Veröffentlichung in den vorgängen Nr. 237/238 (Heft 1-2/2022) wurden keine Korrekturen an den Vorjahren vorgenommen.

Abkürzungen

BW Baden-Württemberg

BY Bayern

BE Berlin

BB Brandenburg

EK Evangelische Kirche

HE Hessen

KK Katholische Kirche

KM Kirchenmitglieder

MV Mecklenburg-Vorpommern

NI Niedersachsen

NW Nordrhein-Westfalen

RP Rheinland-Pfalz

SL Saarland

STL Staatsleistungen

SN Sachsen

ST Sachsen-Anhalt

SH Schleswig-Holstein

TH Thüringen

Verzeichnis der früheren Veröffentlichungen der Staatsleistungen

2023 vorgänge Nr. 237/238 (Hefte 1-2/2022), S. 231-239.

2022 vorgänge Nr. 236 (Heft 4/2021), S. 151-160.

2021 vorgänge Nr. 233 (Heft 1/2021), S. 135-143.

2020 vorgänge Nr. 228 (Heft 4/2019), S. 105-112.

2019 vorgänge Nr. 225/226 (Hefte 1-2/2019), S. 193-200.

2018 vorgänge Nr. 221/222 (Hefte 1-2/2018), S. 213-220.

2016 vorgänge Nr. 213 (Heft 1/2016), S. 153-161.

2015 vorgänge Nr. 208 (Heft 4/2014), S. 190-193.

Literaturhinweise

Humanistische Union 2012: Dokumentation: Stellungnahmen zum Verfassungsauftrag „Ablösung der Staatskirchenleistungen“, in: Mitteilungen, Nr. 215/216, S. 14-15.

Humanistische Union 2011: Entwurf eines „Gesetz über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen“, Berlin.

Haupt, Johann-Albrecht/Hügel, Stefan 2022: Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faser, in: Mitteilungen, Nr. 246, S. 12-13.

Haupt, Johann-Albrecht 2013: Nichtablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Geschichte eines politischen Versagens, in: vorgänge, Nr. 203 = Jg. 52, H. 3, S. 16-28.

Haupt, Johann-Albrecht 2010: Ewige Rente für die Kirchen? Seit neunzig Jahren fordert die Verfassung eine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, in: vorgänge, Nr. 189 = Jg. 49, H. 1, S. 86-94.

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