Beitragsbild Identitätspolitik und Intersektionalität: Zur Rolle der sozialen Ungleichheit und Gerechtigkeit
Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 244: Identitätspolitik zwischen Selbstbestimmung und Abspaltung

Identi­täts­po­litik und Inter­sek­ti­o­na­li­tät: Zur Rolle der sozialen Ungleich­heit und Gerech­tig­keit

Identitätspolitik steht unter dem Verdacht, sozioökonomische und die soziale Gerechtigkeit zu ignorieren. Philip Dingeldey argumentiert in seinem Beitrag, dass jedoch eine bestimmte Art intersektionaler Kämpfe die Kriterien einer „sozialen Gerechtigkeit“ erfüllen kann und so Bündnisse zwischen kapitalismuskritischer emanzipatorischer Linken und linker Identitätspolitik in ihrem Kampf um Selbstbestimmung denkbar macht. Dazu betrachtet er nicht nur die linke Kritik an der Identitätspolitik, sondern auch die vielschichtigen Aspekte der Intersektionalität.

Eine der zentralen Kritikpunkte (linker) Kritik an dem, was man unter das recht vage, meist pejorativ verwendete Schlagwort linker Identitätspolitik versammelt, lautet, dass Identitätspolitik zwar dazu beitragen möge, in die Marktwirtschaft diversere Personengruppen zu inkludieren, aber dabei nicht mehr die Frage der sozialen Gerechtigkeit gestellt werde. Kritisiert werden damit marktkonforme Züge der Identitätspolitik wie Sprachregelungen zur Sichtbarmachung von Geschlechtsidentitäten, die Selbstbestimmung der eigenen Identitäten, Wokeness, Quotenregelungen, Diversität oder auch Debatten um kulturelle Aneignung. Eine solche Politik, die Fehlhaltungen mangelnder Diversität oder als diskriminierend wahrgenommener Sprache korrigieren will, wird von Kritiker*innen gern einer „neoliberalen Linken“ oder einem „progressiven Neoliberalismus“ zugeschrieben, der vor allem die akademisierte Mittelklasse oder auch das akademische Prekariat angehören würden (so etwa Lilla 2017; Fraser/Honneth 2003). Solche Oxymora legen eine dahinterstehende Dialektik nahe. Auf einer Metaebene ließe sich somit behaupten, dass Ansätze der Identitätspolitik sich als sozialkritisch suggerieren würden, aber in Wahrheit keine gesamtgesellschaftliche Kritik vorlegen würden, sondern lediglich kosmetische Korrekturen (Neiman 2023; Somek 2021)i. Das häufige Schweigen identitätspolitischer Akteur*innen zur sozioökonomischen Ungleichheit oder der Kapitalismuskritik generell erscheint als nichtausreichend kritisch.

Dies bringt die frühe kritische Theorie ins Spiel, da diese den orthodoxen Marxismus um eine Kulturkritik durch Ideologiekritik erweitert und damit eine gesamtgesellschaftliche Theorie und Kritik auf dialektische Weise vorlegen will. In einer identitätspolitischen Wende fehlt dies beziehungsweise könnte man der Identitäspolitik egalitäre oder emanzipatorische Tendenzen gar absprechen.

Wenn aber als identitätspolitisch klassifizierte Akteur*innen doch herrschaftskritisch agieren wollen und sich die Frage der Identität von Individuum und Kollektiv in jeder sozialen Bewegung stellt, bleibt zu fragen, ob eine Grenzziehung zwischen einer sozialistisch-emanzipatorischen oder kritisch-theoretischen Linken und der inklusionsparadigmatischen Identitätspolitik so strikt gedacht werden muss, wie manche Kritiker*innen dies tunii. Die hier vertretene These lautet, dass eine bestimmte Art intersektionaler Kämpfe, welche Kriterien einer „sozialen Gerechtigkeit“ erfüllt, gerade nichtneoliberale Bündnisse zwischen kapitalismuskritischer emanzipatorischer Linken und der linken Identitätspolitik in ihrem Kampf um Selbstbestimmung und Besonderheit denkbar macht. Gefragt werden soll auf theoretischer Ebene, ob unter spezifischen herauszuarbeitenden Vorzeichen die Identitätspolitik nicht nur Teile emanzipatorischer Bestrebungen für den Kapitalismus verwertbar macht, sondern ob diese Logik auch verkehrt werden kann, insofern man den vermeintlich egalitären und partizipatorischen Teil, der die „soziale Frage“ wieder stellt, verwenden kann.

Um dieser Überlegung aus einer Perspektive der älteren kritischen Theorie nachzugehen, werde ich zunächst der gegenwärtigen Kritik am Vergessen der sozialen Ungleichheit und Gerechtigkeit durch die „neoliberale Linke“ (1) sowie die damit verbundene Kritik an häufig auch als identitätspolitisch gebrandmarkter Intersektionalität summarisch darstellen, auch da aus der Kritik an der Intersektionalität die konzeptuelle Trennung beider Strömungen (emanzipatorische Linke versus neoliberale Identitätspolitik) begründet wird (2). Daraufhin werde ich versuchen, die Intersektionalität zu kategorisieren, um Überlegungen zu skizzieren, ob unter bestimmten Vorzeichen mit einer bestimmten Art von Intersektionalität ein solches Bündnis zwischen Identitätspolitik und emanzipatorischer Linken möglich ist (3).

1. Zur Kritik der Identi­täts­po­litik

Die Literatur pro und contra Identitätspolitik ist inzwischen so unübersichtlich wie der Begriff vage ist. Manchmal ist dabei die Kritik von Akteur*innen, die sich als links und emanzipatorisch verstehen, polemisch und pauschalisierend. Manchmal erfolgt die Kritik auch auf einem normativen sozialwissenschaftlichen oder philosophischen Niveau. Aus den wissenschaftlicheren, obgleich teils pamphletischen Kritiken aus sozialistischen, sozialdemokratischen oder republikanischen Positionen heraus (so etwa bei Piketty 2020; Fraser/Honneth 2003; Fraser 2017: 71-76; Neiman 2023; Stegemann 2018; Stegemann 2023; Somek 2021) lässt sich die Hauptkritik des Vergessens der sozialen Gerechtigkeit und Ungleichheit sowie der Negierung der Differenzierung in Haupt- und Nebenwidersprüche herauslesen.

Unterschieden wird von Kritiker*innen zwischen Identitätspolitiken und sozioökonomischen Kämpfen für soziale Gleichheit oder Gerechtigkeit. Erstere solle Benachteiligungen und Diskriminierungen von Gruppen bekämpfen, etwa durch Quoten, Antidiskriminierungsmaßnahmen und Sprachregelungen. Selbstverständlich sind inzwischen die Schlagwörter Inklusion und Identität, wie es Luc Boltanski und Ève Chiapello (2006 [1999]) für progressive Ideen oder emanzipatorische Kritiken im Allgemeinen prognostiziert haben, vom Kapitalismus absorbiert und kommerzialisiert worden, insofern nun Diversität in Teams in die Marktgesellschaft integriert werden, anstatt den Markt als System zu kritisieren: Vermarktete Inklusionen führen zur Diversifizierung des Kapitalismus und bei Erfolg sogar zum graduellen Abbau von Antidiskriminierung, jedoch ohne den Kapitalismus und die daraus folgende soziale Ungleichheit selbst infrage zu stellen oder zu beheben. Die Repräsentation marginalisierter Gruppen erfolgt dabei anhand kultureller (statt sozioökonomischer) Prinzipien. Selbst ein inklusiver, diversifizierter und politisch korrekter Kapitalismus reproduziert aber soziale Ungleichheiten. Kritiker*innen behaupten sogar, dass die Identitätspolitik blind für diese Form von Ungleichheit ist. Der Kapitalismus selbst ist nicht per se um Diversität bemüht. Diversität gehört nicht zu seinen Kernelementen, aber als Reflex auftretender Präferenzen wirtschaftlicher Akteur*innen spielt Diversität eine Rolle, wenn man damit Profit genieren kann, was nichts mit Authentizität zu tun hat. (Stegemann 2023: 30-34/84-92; Neiman 2023: 70-109; Somek 2021: 95-99/110-114; Fraser 2017: 71-76; Pfaller 2017; Heisterhagen 2018: insb. 213-233) Mit Theodor W. Adorno (2003b: 413-523) gesprochen bleibt die „Eigentlichkeit“ hier Jargon und Ideologie; Freiheit und Selbstverwirklichung werden durch Diversity versprochen, aber dies bleibt im Kapitalismus Blendwerk.

Die Bekämpfung ökonomischer Ungleichheiten sei dagegen die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Während es linken Identitätspolitiken um Antidiskriminierung und Diversität geht, geht es in der sozialen Gerechtigkeit um den Kampf gegen Ungleichheit und Unterdrückung (was mehr ist als Benachteiligung). Da sozioökonomische Kategorien in der Identitätspolitik über den Wert der Chancengleichheit hinaus aber ignoriert würden, gehe es hier nur um Inklusion und Diversität, aber nicht um soziale Gerechtigkeit, auch wenn social justice warriors anderes behaupten (Young 2011; Haslanger 2012; Murray 2020: 231-239)und beide Begriffe vermischen. Denn der Identitätspolitik ginge es um die Individualebene – die als diskriminiert oder marginalisiert wahrgenommene Identität –, während die soziale Gerechtigkeit auf die gesellschaftliche Struktur abzielt, etwa auf den Kapitalismus oder das Verhältnis von Markt und Staat. (Somek 2021: 170-178; Nachtwey 2017: 111-115)

Das führt Kritiker*innen häufig zu folgendem Befund: Soziale Ungleichheit und somit Armut, Diversität sowie die Diversifizierung des Arbeitsmarkts sind kapitalismuskompatibel. Das führe dazu, dass Staat, Markt und Gesellschaft inklusiver und diverser in der Wahrnehmung werden und auch Menschen ihre Privilegien besser reflektieren können. Zugleich führt es dazu, dass sozioökonomische Ungleichheit, Ausbeutung, Unterdrückung, Konkurrenz und Gier implizit gefördert werden. Gerade der reine Kampf um Anerkennung im Sinne einer besonderen Identität, die wertgeschätzt werden soll, ohne die Frage nach Umverteilung zu stellen, führt eher zu Besonderheit und Distinktion, denn irgendeiner Gleichheitsform (vgl. Fraser/Honneth 2003; Stegemann 2023: 19-22). Das mag auch daran liegen, dass der Neoliberalismus immer noch maßgebend ist und der Sozialismus seit dem Ende des Kalten Krieges an Attraktivität eingebüßt hat. So ist es kein Wunder, dass sich Menschen, die sich als emanzipatorisch verstehen, ihren Kampf auf die Kultursphäre verschieben, aber damit vollends vom Neoliberalismus erfasst werden und diesem lediglich einen progressiven Anstrich geben und sogar zu seiner Legitimation beitragen, anstatt mindestens die sozioökonomische Ungleichheit minimieren zu wollen. (Somek 2021: 181-186; Fraser 2017: 71-76)

Bis hierhin ist die Argumentation als Ideologiekritik wohl vereinfacht, hat aber eine hohe Plausibilität. Als nächstes, und hier wird es schwieriger, möchte ich auf die dazugehörige Kritik der Intersektionalität zu sprechen kommen.

2. Zur Kritik der Inter­sek­ti­o­na­lität

Ein prominenter Kritiker von Identitätspolitik und Intersektionalität ist Alexander Somek. Seine Kritik an der Intersektionalität begründet er mit der grundsätzlichen Feststellung, dass eine „ontische Unvereinbarkeit“ der verschiedenen Opfertypen innerhalb des Inklusionsparadigmas bestünde. „[D]ie Faktoren, die Ausschlag über den Opferstatus geben, [sind] miteinander unvereinbar […], weil sie sich nicht wechselseitig ineinander übersetzen oder ausdrücken lassen“ (Somek 2021: 117). So unterscheiden sich Diskriminierungen von Frauen, sexuellen oder religiösen Minderheiten oder den Opfern von Rassismus, da das Anderssein der jeweiligen Opferrelation jedes Mal eine andere Art des Seins sei, wodurch jede Diskriminierung speziell ist. Die je gemachten Diskriminierungserfahrungen unterschieden sich kategorisch. Das kann unter anderem dazu führen, dass Opfer von Sexismus oder Homophobie trotzdem ihrerseits rassistisch sein könnten und vice versa oder zumindest kein Verständnis füreinander haben. Sobald aber Überschneidungen von Diskriminierungskategorien vorkommen, wird der Begriff Intersektionalität verwendet, um die verstärkte Diskriminierung zu betonen. Das mache den Opferstatus skalierbar, da bei einer Überkreuzung von Diskriminierungen ein erheblicher Unterschied zur „einfachen“ Diskriminierung bestünde. (Somek 2021: 116-119) Wenn für Somek die Opfertypen der „einfachen“ Diskriminierung schon unvereinbar sind, dann müsse dies auch für die intersektionalen Diskriminierungsformen gelten, wenn diese eine Kombination oder Überschneidung der einfachen, ontisch unterschiedlichen Diskriminierungskategorien darstellen.

Diesseits wie jenseits linker Kritik an Identitätspolitiken besteht eine Kritik an der Intersektionalität. Sirma Bilge (2014) kritisiert etwa, dass die Intersektionalitätsforschung in der Universitätslandschaft marktorientierten Prinzipien gehorche, anstatt die ursprünglich behauptete transformative und emanzipatorische Kraft zu entfalten, indem sie als Standortvermarktung genutzt wird und dabei, da viele benachteiligte Gruppen dennoch an Universitäten marginalisiert werden, den Status quo erhalten.

Die linken Kritiker*innen gestehen meist ein, dass die Intersektionalität eine bedeutende Entwicklung des Feminismus Ende des 20. Jahrhunderts war, etwa um herauszustellen, dass neben Geschlecht und „Rasse“ oder Hautfarbe auch die soziale Klasse zu Benachteiligung führt. Gender, race und class ergeben demnach die Trinität sozialer Benachteiligung. Ein bestimmtes Geschlecht und eine bestimmte Hautfarbe führen so eher zur Angehörigkeit einer bestimmten Klasse, wodurch die Kategorien Geschlecht und Hautfarbe mit dem Klassenverhältnis verwoben sind (Collins 2015: 9).

Einige Kritiker*innen stellen aber die komplette Gleichstellung von Klasse mit anderen Diskriminierungsformen infrage. Denn Diskriminierung komme nur vor, wenn die Opfer ohnmächtig gegenüber der Benachteiligung sind. Gewiss gibt es Diskriminierung gegen Menschen, die freier Lohnarbeit nachgehen, und verschiedene Diskriminierungen laufen auf das Klassenverhältnis hinaus. Im Falle der freien Lohnarbeiterschaft bedeute dies (marxistisch gelesen), dass sie ohne Produktionsmittel zu haben, ihre Haut zu Markte tragen und ausgebeutet werden. Wenn aber der Klassencharakter auf Diskriminierung von Wehrlosen reduziert wird und nur sozialer Status weggedacht oder beseitigt werden müssen, bleibt die materielle Ungleichheit erhalten. (Somek 2021: 122-127) Der Klassencharakter wird dann auf eine Diskriminierung reduziert, die inzwischen „Klassismus“ genannt wird und Sozialchauvinismus meint.

Ein Klassenbewusstsein, dass sich verschiedene Angehörige einer Klasse zusammenschließen und für ihr Recht oder die Verbesserung sozialer Verhältnisse kämpfen, wirkt aber unter den identitätspolitischen und intersektionalen Vorzeichen ausgeschlossen. Denn wenn die diskriminierten Identitäten gleichwertig existieren, komme es auch in der wohl größten Gruppe (der Klasse) zu Gegnerschaften und Ressentiments gegeneinander, Diskriminierungen und Unverständnis gegen die getrennten Opfergruppen. Gerade die Affirmation der eigenen Identität (statt des Klassenbewusstseins) führt nicht zu Solidarität, sondern zu Konkurrenz. Koalitionen würden so – im Angesicht des gruppenspezifischen Habitus und der Animositäten bestimmter Identitäten gegeneinander – verunmöglicht. (Somek 2021: 128-132)

Das Darstellen oder Bekämpfen des Opfercharakters, aber auch Pluralität, Heterogenität und Intersektionalität unterscheiden sich für linke Kritiker*innen daher fundamental vom Klassenbewusstsein, da letzteres das Modell einer alternativen Gesellschaft beinhalte und seine Angehörigen sich als gemeinsame Träger*innen der sozioökonomischen Wertschöpfung sehen.

3. Inter­sek­ti­o­na­lität und soziale Frage

Als Kontext sind diese drei Diskussionen wichtig, da sie die Frage berühren, inwiefern eine Theorie der Intersektionalität als Gesellschaftskritik dazu beitragen kann, die soziale Ungleichheit zu kritisieren, aber gleichzeitig andere Diskriminierungsformen als Formen der sozialen Ungleichheit und Unterdrückung zu berücksichtigen, ohne (zu sehr) in die verteufelten Elemente der Identitätspolitik zu verfallen. Ob und unter welchen Vorzeichen dies denkbar ist, soll im Folgenden untersucht werden.

Gegenwärtige Diskurse, in denen die Identitätspolitik – sei es in Kombination mit intersektionalen Ansätzen oder nicht – dafür kritisiert wird, dass sie Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit ignoriert, lassen sich mit (mindestens) drei zeithistorischen Debatten vergleichen. Erstens schließen diese Ansätze implizit an den alten Streit zwischen Sozialismus und Feminismus an, darüber, wo der Primat der Sozialkritik liegen muss: in der materiellen Basis oder der geschlechtlichen Unterdrückung (vgl. Hartmann 1981; Harding 1981). Zweitens wäre da die Debatte zwischen Axel Honneth und Nancy Fraser (2003) um Anerkennung oder Umverteilung. Während die neuere kritische Theorie um Honneth die ökonomische Unterdrückung eher marginalisiert, betont Fraser, dass es beides – ökonomische Umverteilung und soziale Anerkennung – brauche, dass es nicht ausreiche, benachteiligte oder unterdrückte Gruppen aufzuwerten. Und drittens haben wir den Streit um Differenz zwischen Seyla Benhabib, Judith Butler, Drucilla Cornell und Nancy Fraser, in dem es primär darum ging, ob ein an der kritischen Theorie orientierter Sozialismus nach 1989 dem Feminismus noch ein Partner sein könnte oder eher ein Poststrukturalismus respektive die Postmoderne. Benhabib (1995: insb. 13-18) zufolge steht eine Postmoderne aber einer Befreiung des Subjekts im Wege. Das führe zu immer kleineren Gruppenidentitäten und Besonderheiten, statt einem emanzipatorischen Kollektiv mit überzeugenden Narrativen (auch wenn dies im Sinne der kritischen Theorie – anders als im orthodoxen Marxismus – keine Großerzählungen mehr sein sollten/könnten).

3.1 Was ist Inter­sek­ti­o­na­li­tät? Was kann sie sein?

Zunächst muss geklärt werden, was Intersektionalität ist oder sein kann. Intersektionale Ansätze, die in der dritten Welle des Feminismus entstanden sind, gehen davon aus, dass es zu besonderen Unterdrückungs-, Ungleichheits- oder Diskriminierungsformen komme, wenn sich die dahinterstehenden Kategorien – insbesondere race, class und gender, da diese das Grundmuster von politischer und sozialer Ungleichheit ausmachen – überschneiden. Getragen ist dies von der Annahme, dass weder rein feministische Analysen noch eine (weiß geprägte) marxistische Ungleichheitsanalyse und -kritik mehr ausreichen, um das Zusammenwirken von Ungleichheits- und Diskriminierungskategorien zu erfassen (Alemann 2022: 22-25). Die Analyse dieses Zusammenspiels würde so die Lebensrealität Betroffener besser erfassen (vgl. auch Will/Lüders 2022: 13).

Ein Ursprung der Intersektionalitätsdebatte liegt in den Erfahrungen schwarzer Frauen, die sich im hegemonialen weißen Feminismusdiskurs in den 1970ern und 1980ern nicht repräsentiert fanden. Die Unterdrückung, die angesichts einer spezifischen Geschlechtszugehörigkeit erfolgte, griff vor dem Hintergrund der rassistischen Diskriminierung für sie zu kurz. So bemerkte das Combahee River Collective (1982 [1977]), dass schwarze Frauen weder vom weißen Feminismus noch von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung adäquat repräsentiert werden würden, da schwarze Frauen besondere Unterdrückungsformen erfahren würden und dementsprechend ein schwierigeres Verhältnis zu Patriarchat, Markt und Staat hätten als schwarze Männer oder weiße Fraueniii. Dies führte zur erweiterten Analyse der Kategorien class, race und gender, da die isolierte Analyse von nur einer der Ungleichheitsdimensionen vor solchen Hintergründen nicht mehr als fruchtbar oder adäquat erschien. Vielmehr solle es um die Verwobenheit der Ungleichheits- oder Diskriminierungsdimensionen gehen (Young 2011; Kurz 2022: 80). Kimberlé Crenshaw hatte dafür 1989 den Begriff intersectionality eingeführt. Um die Verwobenheit von solchen Formen der Ungleichheit und Diskriminierung herauszuarbeiten, nutzte sie die Metapher einer Verkehrskreuzung, bei der sich Machtwege kreuzeniv.

Es geht dabei nicht nur um die Addition von Ungleichheits- oder Diskriminierungskategorien (das quantitative Moment), sondern auch um das Überschneiden und Zusammenwirken von ungleichheits- und diskriminierungsgenerierenden sozialen Strukturen (das qualitative Moment), freilich häufig ohne soziale Gerechtigkeit und Inklusion dabei zu unterscheiden (Meyer 2017: 82f.). Gleichwohl könnten diese Strukturen nicht auf eine einzige Machtlogik (wie Kapitalismus oder Patriarchat) reduziert werden, obgleich hinter dem qualitativen Moment die Annahme steht, dass diese Machtlogiken nicht völlig unabhängig voneinander funktionieren (Knapp 2008b: 44).

Dabei ergeben sich offene Fragen: So ist unklar, wie genau die Überschneidungen von Herrschaftsverhältnissen zu fassen sind, zumal die Ungleichheits- und Diskriminierungskategorien aus unterschiedlichen Lebenswelten stammen, aber auch von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen erforscht werden. Daraus folgt auch, dass die Kategorien möglichst gleichgewichtig behandelt werden. Ein Primat der Ökonomie und des Klassencharakters beziehungsweise (in marxistischer Nomenklatura) die Unterscheidung von Haupt- und Nebenwidersprüchen lassen sich mit einer intersektionalen Analyse nicht ohne Weiteres denken. (Winkler/Degele 2010: 28f.) Vielmehr ginge es darum, ähnlich zur Debatte zwischen Sozialismus und Feminismus, die Marginalisierung von Geschlechterkategorien in Klassenanalysen zu korrigieren und, so Gudrun-Alexi Knapp (2008b: 34), „das Verhältnis der Geschlechter im Rahmen einer Theorie der kapitalistischen Gesellschaft begrifflich zu bestimmen und empirisch zu erforschen“. Gerade dieser Punkt wie auch die Kritik, dass im Bereich der Intersektionalität Unterdrückung und Diskriminierung synonym verwendet werden, führen dazu, dass Formen der Unterscheidung verwischt werden und dadurch die kritisch-theoretische Analyse erschwert wird. Kontrovers diskutiert wird darüber hinaus unter anderem, welche Kategorien – neben race, class und gender – relevant sind.

Somit geht es um Ungleichheit durch Klassenzugehörigkeit und/oder Diskriminierung, den politischen und sozialen Ausschluss von Menschen(-gruppen) – welcher mit der kritischen Theoretikerin Regina Becker-Schmidt (2007: 58) als Steigerung der vertikalen Ungleichheitslogik, die bis hin zum Ausschluss führt, oder mit Knapp (2008a: 153) als Differenzlogik von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit gelesen werden kann, wobei im letzteren Fall die horizontale und vertikale Ungleichheits- und Differenzlogiken in der Intersektionalitätsanalyse zusammenkommen. Zudem geht es um die Missachtung von Lebensformen und Identitäten und Gewalterfahrungen. (Meyer 2017: 63-66) Kurz gesagt: Die traditionelle Klassenanalyse wird hier inzwischen unter anderem mit der Identitätspolitik zusammengedacht. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Analyse und Kritik von Diskriminierungen und sozioökonomischer Ungleichheit erschwert werden und sie vage bleiben. Darum unterscheidet Fraser zwischen der Anerkennung der Differenz und der Kritik der Ungleichheit.

Denn wenn wir beispielsweise von klassenspezifischer Diskriminierung sprechen (siehe oben), die sich mit Hautfarbe oder Geschlecht überschneidet, dann ergibt sich, dass der Klassencharakter nur dann ein Problem ist, wenn man aufgrund seiner Klassenzugehörigkeit diskriminiert wird. Überspitzt gesagt wäre die Ausbeutung von (beispielsweise weiblichen oder nichtweißen) Arbeitenden kein Problem, solange dieses systemrelevante Proletariat, wie zu Zeiten der Pandemie, Applaus von den Balkonen bekommt. Genau dies ist aber nicht der Ursprung der intersektionalen Kritik.

Ein emanzipatorisches linkes Potenzial ließe sich nur dann ausmachen, wenn folgende Prämisse der intersektionalen Analyse und Praxis gegeben ist: Es müssten sich intersektionale Bündnisse dagegen wehren, dass es zur Hierarchisierung von Diskriminierungen innerhalb solcher Bündnisse und zu einer Konkurrenz und Rangfolge der Diskriminierung durch künstliche Gegensätze kommt (vgl. auch Hancock 2016; Berendsen/Cheema/Mendel 2021a: 12; Berendsen/Cheema/Mendel 2021b: 244-248). Anstatt dass marginalisierte oder unterdrückte Gruppen um begrenzte Ressourcen, wie Geld, Macht und Aufmerksamkeit miteinander konkurrieren, müssten Zusammenhänge der Phänomene, Kategorien, Ebenen und Dimensionen hergestellt werden (Demirović/Maihofer 2013: 33; Meyer 2017: 80f.).

3.2 Zwei Formen der Inter­sek­ti­o­na­lität

Wenn es also nicht nur um Diskriminierung geht, sondern auch um Unterdrückungs- und Ungleichheitsdimensionen, die sich überschneiden und in Wechselwirkung geraten, dann ergeben sich in der Intersektionalität zwei Wege, von denen einer für ein linksemanzipatorisches Ziel sinnvoll sein kann. Beiden ist die Annahme gemeinsam, dass bei Überschneidungen von gruppenspezifischen Unterdrückungen und Diskriminierungen neue Unterdrückungsformen entstehen. Ein Ansatz verweist auf Identitäten, einer auf Herrschaftsstrukturen. Damit ist die Dialektik aus Identität und Differenz einerseits und die semantische Mehrdeutigkeit der Intersektionalität andererseits erfasst (vgl. Meyer 2017: 96). Eine solche Gegenüberstellung zweier idealtypischer Intersektionalitätsansätze ist stark vereinfacht. Die Vereinfachung kann jedoch sinnvoll sein, um sich eine Übersicht zu verschaffen und die Identitätspolitik und Intersektionalitätsanalyse auf ein linksemanzipatorisches Potenzial zu untersuchen.

Die eine Form von Intersektionalität (im Folgenden: Intersektionalität I) wäre jene, derzufolge die Überschneidung von Unterdrückungs- oder Diskriminierungsformen zur Sakralisierung der Betroffenen als Opfer führt. Hier würden die Betroffenen weiterhin in der Opferrolle verbleiben – und die Prominentesten seien dann jene Personen, die die meisten Diskriminierungsfaktoren in sich vereinen. In der Intersektionalität I ist eine Solidarisierung verschiedener Gruppen unrealistisch, da die Aufspaltung von immer neuen Überschneidungen zur immer weiteren Zersplitterung der Subgruppen führt. Hier kann (zu Recht) eine schwarze, schwerbehinderte, alleinerziehende Frau einen höheren Grad an Unterdrückung und Diskriminierung behaupten als viele andere Diskriminierte oder Unterdrückte. Sie könnte sich daher weder von anderen ungleich Benachteiligten repräsentieren lassen noch sich mit ihnen verbünden, da die spezifische Unterdrückung oder Diskriminierung dieser Person von Menschen, die nur Teile der Marginalisierung erfahren, nicht erfasst werden kann. Hinzukommen können auch Ressentiments und Animositäten verschiedener unterdrückter Gruppen und Identitäten, die sich durch die Frage der Schwere des Grades an Benachteiligung und Unterdrückung sogar zur Konkurrenz entwickeln können (Somek 2021: 128f.). Dies könnte nicht nur so weit gehen, dass die Opferrollen unvereinbar werden, da jeweils verschiedene gruppenspezifische Diskriminierungen gemeint sind, sondern dass die Opferposition ontologisiert wird, anstatt sie als soziales Konstrukt zu begreifen, das geändert, umgedeutet, umgewertet oder abgeschafft werden kann, wodurch das Ganze am Ende wie ein fixiertes System wirkt, das Hierarchien miteinschließt. Die Intersektionalität I, die keine breiten Bündnisse sucht, würde sich immer weiter in der Matrix der Intersektionalität ausdifferenzieren und aufspalten.

Diese idealtypische bis karikatureske Intersektionalität I würde die Aspekte vereinen, für welche identitätspolitische Phänomene von einer traditionell linken Autorenschaft kritisiert werden. Es ist offenkundig, dass dies weder d’accord mit einem kritisch-theoretischen noch einem sozialistischen Ansatz ist. Die Tendenz, in Betroffenheitspolitiken absolute Differenzen zu setzen – sei es nun in einzelnen Diskriminierungskategorien, sei es in einer intersektionalen Diskriminierung – trägt etwa schon Adorno zufolge zur Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen bei: „Die Harmonie des Unversöhnlichen kommt dem Fortbestand der schlechten Totalität zugute“ (Adorno 2003a: 208). Die Konkurrenz von Betroffenen durch Skalierung eines Betroffenengrades und einer daraus resultierenden Unversöhnlichkeit unterminiert eine Solidarisierung, die zu Emanzipation führt (vgl. Busch 2021: 46-48). Komplizierter ist dies mit dem Poststrukturalismus, um die Debatte zwischen Sozialismus/kritischer Theorie und Postmoderne/Poststrukturalismus zu bemühen: So bemerkt Judith Butler, lange bevor sie für ihre Relativierung der Verbrechen von Hamas und Hisbollah breites öffentliches Aufsehen erregte, im Streit um Differenz mit ihrer Kritik an Benhabibs Gedanken zu kritischer Theorie, Postmoderne und Feminismus (siehe oben), dass Identitäten und Zuschreibungen kontingent und konstruiert sind und gar nicht von einem Kollektiv der Frauen gesprochen werden kann. Eine solche Konstruktion würde die Unterschiede zwischen Frauen und innerhalb der feministischen Praxis verkennen. Das weist (implizit) auf die Intersektionalität I hin, insofern die sozialen Zuschreibungen und Diskriminierungen etwa zwischen weißen und nichtweißen Frauen stark differieren. Darin, dass Butler große Kollektive mit großen Narrativen ablehnt und die etablierten Diskurskategorien verschieben oder umdeuten will, auch da ein identitärer oder ontologisierter Grund der Pluralität von Geschlechterverhältnissen nicht gerecht wird, liegt die Aufspaltung in der Pluralität von benachteiligten Gruppen begründet. (Butler 1995: 48-51/57)v Dabei spart Butler die Kapitalismuskritik völlig aus, begründet aber dafür die Ausdifferenzierung der Benachteiligten und der dahinterstehenden Kategorien. Obwohl ein solcher poststrukturalistischer Ansatz der Intersektionalität I, die keine großen Kollektive nach race, class oder gender allein bilden will, diesbezüglich entsprechen kann, widerspricht doch einer solchen Verbindung, dass in identitätspolitischen Bewegungen solche „kontingenten Grundlagen“ oft naturalisiert werden und als festgeschriebenes Fundament verstanden werden, wodurch Zugehörigkeit definiert wird. Dabei werden also selbst poststrukturalistische und postmarxistische Ansätze ignoriert. (Lorey 2011: 104-112)vi

Eine zweite Form der Intersektionalität (im Folgenden: Intersektionalität II) wäre ein Bündnis, das einen gemeinsamen Gegner der Unterdrückung wählt und dessen Mitglieder/Betroffene sich solidarisieren. Vereinfacht ließe sich dies mit dem Slogan des Neuen Deutschland darstellen, das (in Reaktion auf Sarah Wagenknechts Polemik gegen linke Identitätspolitiken) bemerkt, dass „skurrile Minderheiten“ und Arbeiterklasse kein Widerspruch sind, das Verhältnis von Kapital und Arbeit aber schon. Solange es um eine dialektische Kapitalismuskritik geht, könnten sich somit neue Bündnisse bilden, die verschiedenste mit dem Kapitalismus verbundene gruppenspezifische Unterdrückungen bekämpfen. Dies schließt an die Debatte zwischen Sozialismus und Feminismus Anfang des 20. Jahrhunderts an. Solange feministische oder andere Strömungen in der Intersektionalität II den Primat der Ökonomie und des Klassenverhältnisses anerkennen – sprich, von der Nichtpriorisierung der Kategorien in der Intersektionalität abweichen, da es einen systematischen Unterschied zwischen sozialer Gerechtigkeit und Inklusion/Diversität/Antidiskriminierung gibt – oder den Primat zumindest nicht explizit unterminieren, gibt es keinen Grund, warum Betroffene sich aus sozialistischer Perspektive nicht verbünden können und warum eine emanzipatorische Bewegung dann etwa nicht auch die Besonderheit der Unterdrückung von Arbeiterinnen (durch Patriarchat und Kapitalismus) kritisieren und bekämpfen sollte.

Während Intersektionalität I in homogenen, immer kleiner werdenden Gruppen agiert, versammeln sich in Intersektionalität II Bündnisse multipler Identitäten. Letztere würde auch zur kritischen Theorie passen, insbesondere aus drei Gründen:

  • Erstens geht es der kritischen Theorie um gesamtgesellschaftliche Verhältnisse, etwa bedingt durch die Kapitalisierung (oder auch Faschisierung) jedes sozialen Bereiches (Knapp 2022: 42-44). Dazu gehört mehr als die rein ökonomische Kritik an der Klassengesellschaft, wodurch sich die Notwendigkeit ergibt, andere Unterdrückungsformen in die (kultur-)marxistische Kritik mit aufzunehmen.

  • Zweitens führt die frühe kritische Theorie – jedoch ohne selbst feministisch zu argumentieren – die Formen der bürgerlichen Ungleichheit auf das Mensch-Natur-Verhältnis zurück. Für Adorno und Max Horkheimer ist die Verleugnung der Natur der Kern der zivilisatorischen Rationalität. Die Selbstverleugnung aber macht das gesellschaftliche Mittel zum Zweck, indem die Natur als Basis ideologisch vom Menschen getrennt wird. Die Herrschaft des Menschen über sich selbst wird somit zur Vernichtung des Subjekts, indem vollkommen unvernünftig das Lebendige, der natürliche Selbsterhalt vom Menschen selbst im Kapitalismus getrennt wird. Obwohl die technologische Entwicklung es leichter macht, Bedürfnisse zu befriedigen, führt die Herrschaft eher zur Ausrottung des Menschen und des Humanen. Diese Widervernunft ist für Adorno und Horkheimer ein Selbstbetrug und führt zu überflüssigen Opfern, Selbstbezwingungen und Entsagungen. Im Exkurs zur Odyssee in der Dialektik der Aufklärung beschreiben die Autoren etwa, wie „Barbaren“ für die „Zivilisation“ als gesetzlos und nicht sozialisiert oder zivilisiert gekennzeichnet werden. Das „Barbarische“ gilt deswegen in der bürgerlichen Ideologie als naturnah, weniger vernünftig oder unvernünftig und würde daher unterdrückt oder betrogen werden. Doch genau diese Unterscheidung von homo oeconomicus und Wesen, die nicht dem vermeintlichen Rationalitätsgrad dieses Typs entsprechen, beziehungsweise Menschen, denen die Rationalität schlicht abgesprochen wird, sorgt dafür, dass der Mensch nicht nur die Natur überlistet und bezwingt, sondern dass er auch Menschen kategorisiert und unterdrückt. So gelten etwa Frauen, Ureinwohner*innen, Kolonisierte und auch jüdische Menschen in dieser bürgerlichen Ideologie als naturnäher sowie weniger vernünftig. Sie würden daher unterdrückt werden. Aus der modernen Rationalität und ihrer Trennung von der Natur für den weißen kapitalistischen Mann folgt also die Unterdrückung der Menschen – von der bürgerlichen Ehe bis zum Genozid. (Adorno/Horkheimer 2003: 65-99) Dementsprechend werden – durch die Trennung von Kultur und Natur, die Herausbildung des homo oeconomicus wie auch durch den Kapitalismus und die moderne Rationalisierung – verschiedenste Menschengruppen unterdrückt, und zwar durch eine den Unterdrückungsformen zugrundeliegende gemeinsamen Denkweise. Dies gibt sowohl Anknüpfungspunkte für den Feminismus als auch für intersektionale Bewegungen (vgl. auch Knapp 2022: 45-49). Denn Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und Antisemitismus haben für Adorno und Horkheimer ihren gemeinsamen Ursprung in der Trennung von Mensch/Kultur und Natur, ohne dass diese Phänomene identisch seien oder aufeinander reduziert werden könnten.

  • Drittens hat Becker-Schmidt mit ihrer These der doppelten Vergesellschaftung von Frauen verdeutlicht, dass Frauen durchschnittlich nicht nur eine Doppelbelastung durch produktive und reproduktive Arbeit erleiden, sondern auch doppelt unterdrückt und entfremdet sind, indem sich Patriarchat und Kapitalismus überschneiden (Becker-Schmidt 2017: 51-76; Becker-Schmidt 2022). Gerade eine solche Überschneidung – oder auch die von Rassismus und Kapitalismus oder Sexualität und Kapitalismus etc. – kann der Kritikpunkt einer emanzipatorischen Linken sein, sodass, ausgehend von der Kapitalismuskritik, auch andere Formen und Kategorien der Unterdrückung und Diskriminierung angegriffen werden können. Das gilt gerade dann, wenn sie sich mit dem Kapitalismus überschneiden, was meist der Fall sein wird.

Festzustellen bleibt, dass eine Intersektionalität, die d’accord mit der älteren kritischen Theorie ist, möglich ist. Dabei ist auch der Primat der Kapitalismuskritik/der Ökonomie denkbar. Ein Bündnis zwischen der Arbeiterklasse, Feminist*innen und verschiedenen Minderheiten ergibt auch aus der Logik der emanzipatorischen Kapitalismuskritik heraus Sinn: Denn gerade die Gender Pay Gap oder der Umstand, dass ethnische Minderheiten häufiger der Unterschicht angehören, würde es nahelegen, dass Frauen und jene Minderheiten nicht nur gegen Diskriminierung protestieren oder Quotenregelungen fordern, sondern darüber hinaus oder vorrangig gegen die soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit protestieren und Widerstand zeigen. Für die Intersektionalität II sind somit zwar der Primat der Ökonomie und die Kapitalismuskritik ausschlaggebend, es soll aber nicht von einem monolithischen System der Unterdrückung, auf dem jede Ungleichheit und Diskriminierung basiert, behauptet werden. Es muss „nur“ bemerkt werden, dass das Patriarchat und der Rassismus im Kapitalismus besonders schwere Ausformungen aufweist. Die Unterscheidung von Haupt- und Nebenwiderspruch wäre gegeben, verschiedene Identitäten (sowie Politiken) und die Diskriminierung werden aber nicht ökonomistisch ignoriert.

Auch wenn die Intersektionalität II theoretisch plausibel sein mag, müsste sie praktisch mehrere Hürden überwinden: Erstens bräuchte es dafür ein Klassenbewusstsein im Proletariat. Zweitens müssten diejenigen, die nicht nur als Arbeiter*innen unterdrückt und ausgebeutet werden, sondern auch aufgrund anderer Gruppeneigenschaften unterdrückt und diskriminiert werden oder aufgrund ihrer Identität in besonderem Maße von Ausbeutung, Diskriminierung und Unterdrückung von Kapitalismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Transphobie, Ableismus etc. betroffen sind, bereit sein, zwar die Besonderheit ihrer überschneidenden Unterdrückung zu betonen, aber sich dabei nicht narzisstisch zu exponieren. Anstatt auf der je eigenen Identität (samt den Überschneidungen von unterdrückenden Elementen und Kategorien) als von anderen Identitäten getrenntem Sonderfall zu beharren und damit vollends dem Individualismus oder gar Atomismus im progressiven Neoliberalismus zu erliegen, müssten wir somit offener für eine Ideologiekritik am Neoliberalismus werden, dessen Feigenblätter Diversität und eine vermeintliche Inklusion sind. Kurz gesagt müsste daraus folgen, dass wenn etwa eine trans Person sich der eigenen Klasse und der Transphobie bewusst wird, diese sich einer linken Bewegung anschließen und in der Kritikform bereichern kann.

Für manche mag es befremdlich wirken, wenn sich heteronormative Arbeiter möglicherweise nicht mit trans Menschen zusammentun möchten oder andersherum, da ein Unterdrückungsmechanismus noch nicht dazu führt, einen anderen Unterdrückungsmechanismus anzuerkennen oder die eigenen Ressentiments zu überwinden. Auch wenn diese Kritik nicht einfach von der Hand zu weisen ist, hat die Intersektionalität nicht nur einen akademischen, sondern auch einen praktisch-aktivistischen Part. So hat etwa Elizabeth Cole (2008: 449-451) herausgefunden, dass intersektionale Koalitionen gerade dann als erfolgreich von den Beteiligten im feministischen Aktivismus eingeschätzt werden, wenn es nicht um geteilte oder getrennte Erfahrungen und Identitäten geht, sondern um geteilte Positionen in einem Machtverhältnis – bei gleichzeitiger gegenseitiger Anerkennung von Differenz. Es geht dann nicht nur um spezifische Diskriminierungen, sondern um verschränkte Positionen im Kampf um Empowerment einer Gruppe. (Vgl. Kurz 2022: 94-96; Chun et al. 2013) Die Intersektionalität II bedeutet somit nicht bloß, dass – wie in einem Arbeitsstreik für höhere Löhne oder Arbeitszeitreduktion – identitätspolitische Unterschiede innerhalb der Streikenden und Gewerkschaftern kaum eine Rolle spielen sollen. Es bedeutet vielmehr, dass ein intersektionales Bündnis diese Unterdrückungen und Diskriminierung bündelt und dabei die Kapitalismuskritik in den Vordergrund stellt.

Ein Beispiel der funktionierenden Intersektionalität II, die sich auf die geteilten Positionen in einem Machtverhältnis beruft, bietet in Deutschland die Berliner Initiative Deutsche Wohnen & Co. Enteignen. Eindeutig primär behandelt dieses Bündnis die Eigentumsfrage und stellt Mieter*innen gegen große Immobilienkonzerne. Der Primat der Ökonomie ist gegeben. Darunter versammelt sich auch eine aktive LGBTQI+-Community, zumal sexuelle Minderheiten auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt und diskriminiert werden und daraus prekäres Wohnen und Wohnungslosigkeit folgen. Selbiges gilt für Angehörige bestimmter ethnischer Minderheiten, aber auch für schlecht verdienende Single-Männer. Unter einem spezifischen Thema mit einem klaren Primat und einer politischen Forderung gelang es der Initiative, genug Menschen verschiedenster Mietergruppen zu mobilisieren, um einen Volksentscheid mit großer Mehrheit durchzuführen, inzwischen den Weg zum Gesetzgebungsprozess zu beschreiten.

4. Fazit

Was also entscheidend sein mag für eine funktionierende Intersektionalität, ist, sich ein spezifisches Ziel zu setzen, das als ausreichend gesamtgesellschaftlich relevant wahrgenommen wird und von welchem verschiedene Gruppen betroffen sind – obgleich in unterschiedlichem Grad. Die Betroffenen müssten sich hinter dieses spezifische (auch sozioökonomische) Ziel vereinen, auch in Bezug auf jeweilige intersektionale Besonderheiten. Der dahinterstehende Duktus ist eine zunächst befristete Zusammenarbeit verschiedener Gruppen, die ein gleiches Interesse – wenn auch vielleicht aus unterschiedlichen Motiven – haben und dabei nach dem Solidaritätsprinzip verfahren: Wenn Person oder Gruppe A für Gruppe oder Person B kämpft, dann kämpft auch B für Avii. Alle anderen Unterschiede und Ressentiments können, je nach Stärke des Ziels, toleriert oder herausgestellt und innerhalb des Kollektivs repräsentiert werden, wenn ein Missstand als drängender wahrgenommen wird als die eigenen Ressentiments. So ist nicht auszuschließen, dass sich auch insgeheim heteronormative Mieter*innen aus der Arbeiterklasse mit Deutsche Wohnen & Co. Enteignen identifiziert haben, denn das Ziel des bezahlbaren Wohnraums war dominant genug, auch das queere Engagement zu tolerieren, da es ihnen gerade nicht im Weg stand, sondern womöglich sogar half. Die Immobilienlobby und die Mehrheit des Berliner Senats stehen ihnen im Weg, nicht queere Mieter*innen.

Meine Annahme war es, dass die linke Kritik am Vergessen der sozialen Frage sowie teilweise die linke Kritik an der Intersektionalität korrekt ist. Jedoch sollte nicht jedem Fan der Inklusion und Diversität per se unterstellt werden, narzisstisch im eigenen Kampf um Anerkennung und Antidiskriminierung zu sein, aber dass die strukturelle Ebene dies nahelegt, so wie diese Ebene auch den Verlust des Klassenbewusstseins in der Identitätspolitik nahelegt. Denn für neue soziale Bewegungen gilt auch, dass sich diese ohne Identitätsbildung und -abgrenzung nicht denken lassen (Auernheimer 2020: 84-94).

Gerade wenn die neoliberale Identitätspolitik sozialpsychologisch als falsche Alternative zum Verlust des Klassenbewusstseins gilt, stellt sich die Frage, ob diskriminierte und unterdrückte Subjekte nicht durch Intersektionalität zurück in ein linkes emanzipatorisches Engagement geführt werden können, welches sie offiziell ja häufig praktizieren wollen. Sollte dies funktionieren, könnte die Identität als sekundäres Kriterium hinter der sozialen Frage inkludiert werden. Es ist also denkbar, zumindest einen Teil der identitätspolitischen Akteur*innen in ein emanzipatorisches linkes Engagement zu integrieren, wenn ihnen die Verbesserung sozioökonomischer Verhältnisse als Eigeninteresse erscheint und sich dies auch auf ihre Besonderheit oder auch ihren Diskriminierungshintergrund beziehen lässt.

 

Dr. Philip Dingeldey ist seit April 2023 einer von zwei Bundesgeschäftsführer*innen der Humanistischen Union und hauptamtlicher Redakteur der vorgänge. Zuvor hatte er eine Gastprofessur für kritische Gesellschaftstheorie an der Justus-Liebig-Universität Gießen inne. Dingeldey hat in Politikwissenschaft an der Technischen Universität Darmstadt promoviert. Seine Forschungsinteressen sind Demokratietheorie, Rechtstheorie und -philosophie, kritische Theorie, Republikanismus, Liberalismus, ökologisches politisches Denken und Ideengeschichte. Zuletzt von ihm erschienen: Von unmittelbarer Demokratie zur Repräsentation. Eine Ideengeschichte der großen bürgerlichen Revolutionen (Transcript: Bielefeld 2022).

 

Literatur

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Anmerkungen:

i Alexander Somek (2021: 3) fasst dies beispielsweise folgendermaßen zusammen: „Wer heute liberal und fortschrittlich ist, glaubt gewiss nicht mehr an die transformierende Mission einer revolutionären Klasse (des ‚Proletariats‘), sondern weiß Bescheid, dass es für alle entscheidend darauf ankommt, sich zu qualifizieren und kompetitiven Auswahlverfahren zu stellen. Man steht allein da und muss für sich allein kämpfen. Die wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft gilt als vorgegeben und unantastbar. Die eigentliche politische Herausforderung wird darin gesehen, sie ‚inklusiver‘ zu machen durch die Verbesserung der Chancengleichheit und den Abbau von Ausgrenzungen, insbesondere solcher aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder der ‚Rasse‘“.

ii Empirisch ist klar, dass eine von Regierungen und Parlamenten betriebene Identitätspolitik kaum herrschaftskritisch ist und sozioökonomische Fragen hintanstellt (vgl. hierzu den Beitrag von Dirk Jörke und Torben Schwuchow in diesem Heft). Es könnte sich aber anders verhalten, wenn es um die Agenda von Betroffenen, die antidiskriminierend und kapitalismuskritisch sein können, geht.

iii Vgl. zum Combahee River Collective und dessen Bezüge zur Identitätspolitik auch den Beitrag von Jörg Scheller in diesem Heft.

iv „Consider an analogy to traffic in an intersection, coming and going in all four directions. Discrimination, like traffic through an intersection, may flow in one direction, and it may flow in another. If an accident happens in an intersection, it can be caused by cars travelling from any number of directions and, sometimes, from all of them. Similarly, if a Black woman is harmed because she is in the intersection, her injury could result from sex discrimination or race discrimination” (Crenshaw 1989: 149).

v Dementsprechend geht eine poststrukturalistisch geprägte Intersektionalitätsforschung weniger auf Klassenverhältnisse ein, sondern eher auf die kontingente Kategorisierung (so etwa Goel 2022).

vi Wo Isabell Lorey nur einen Widerspruch zwischen Butlers Kontingenztheorie und der Identitätspolitik sieht, scheint mir dies eher ein dialektisches Spannungsverhältnis zwischen identitätspolitischer Naturalisierung und poststrukturalistischer Aufspaltung von Kollektiven zu sein.

vii Diesem Narrativ folgend funktioniert auch der Spielfilm Pride von 2014.

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