Beitragsbild Geschlechtliche Vielfalt im Recht: Mühsame Dekonstruktion einer binär vergeschlechtlichten Rechtsordnung
Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 244: Identitätspolitik zwischen Selbstbestimmung und Abspaltung

Geschlecht­liche Vielfalt im Recht: Mühsame Dekon­struk­tion einer binär verge­schlecht­lichten Rechts­ord­nung

Dieser Beitrag gibt einen kritischen Überblick über die neuere Rechtsentwicklung zur geschlechtlichen Vielfalt. Er zeigt, dass trotz zahlreicher Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre viele Fragen noch nicht zufriedenstellend gelöst werden konnten. Auf vielen im Alltag wichtigen Gebieten, darunter das Arbeitsleben, die Familiengründung, Schulen und Hochschulen und die Gesundheitsversorgung, wird die geschlechtliche Vielfalt noch nicht angemessen rechtlich abgebildet.

In den Naturwissenschaften gilt es heute als gesicherte Erkenntnis, die Lebensrealitäten trans- und intergeschlechtlicher sowie nichtbinärer Menschen führen es uns seit jeher vor Augen: Es gibt mehr als ein entweder rein weibliches oder rein männliches Geschlecht, das durch äußere Genitalien definiert und über den Lebenszeitraum unveränderlich ist.

Im deutschen Verfassungsrecht wurde diese geschlechtliche Vielfalt seit den 1970er Jahren durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sukzessive rechtlich anerkannt: Trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen genießen Schutz vor Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts. Sie haben das Recht, Vornamen und Geschlechtseintrag entsprechend ihrer geschlechtlichen Identität zu ändern. Nichtbinäre Personen werden in ihren Grundrechten verletzt, wenn das Personenstandsrecht keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als männlich oder weiblich zulässt.

Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben bereitet dem Gesetzgeber jedoch offensichtliche Mühe. Zwar gibt es seit 1980 ein Gesetz, das Personenstandsänderungen zulässt, die Voraussetzungen wurden jedoch mehrfach vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt. Seit 2018 gibt es zwar neben männlich und weiblich den neuen Personenstandseintrag divers, das sonstige Recht ist jedoch weiterhin fast ausschließlich binär ausgestaltet. Der Gesetzgeber wirkt überfordert oder jedenfalls nicht an einem schlüssigen Gesamtkonzept für die rechtliche Regelung geschlechtlicher Vielfalt interessiert.

Dieser Beitrag zeichnet ausschnitthaft die mühsame Dekonstruktion unserer binär vergeschlechtlichten Rechtsordnung nach und zeigt beispielhaft auf, in welch prekärer Lage sich Menschen, die nicht in unsere binäre Gesellschaftsordnung passen, noch heute befinden.

Geschlecht­liche Vielfalt

Transgeschlechtliche Menschen (kurz: trans*) identifizieren sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht. Manche, aber nicht alle trans* Menschen wünschen sich geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen (medizinische Transition). Der Gegenbegriff zu transgeschlechtlich ist cisgeschlechtlich – das sind Personen, die sich mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren.

Intergeschlechtliche Menschen (kurz: inter*) haben von Geburt an genetische, anatomische und/oder hormonelle Geschlechtsmerkmale, die nicht den Geschlechternormen von Mann und Frau entsprechen (Deutscher Ethikrat 2012: 24). Ob eine Person intergeschlechtlich ist, lässt sich oft nicht auf den ersten Blick erkennen; teilweise dauert es bis zur Pubertät oder länger, bis sie davon erfährt. Der Gegenbegriff für intergeschlechtlich ist endogeschlechtlich – das sind Personen, deren Körper sich medizinisch eindeutig als nur weiblich oder nur männlich einordnen lassen.

Nichtbinäre Menschen fühlen sich weder ausschließlich dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig. Ihre Identität kann männliche und weibliche Anteile haben, irgendwo dazwischen liegen oder auch ganz außerhalb dieser Kategorien sein. Viele inter* Menschen sind nichtbinär, es gibt jedoch auch endogeschlechtliche nichtbinäre Personen, von denen sich einige, aber nicht alle, auch als trans* bezeichnen.

Binär verge­schlecht­lichte Rechts­ord­nung

Diese geschlechtliche Vielfalt trifft auf eine binär vergeschlechtlichte Rechtsordnung (Mangold/Roßbach 2023: 756). Unser gesamtes Recht ist von geschlechtlichen Vorstellungen durchzogen: Personenstand, Mutter- und Vaterschaft, Diskriminierungsverbote, Quoten – viele Regelungen knüpfen am Geschlecht an. Der Staat erfasst das Geschlecht eines Menschen bereits bei dessen Geburt im Personenstandsregister. Das Recht geht dabei ursprünglich von drei Grundannahmen aus: Es gibt nur die beiden Geschlechter weiblich und männlich, das Geschlecht ist durch den Blick auf die äußeren Genitalien eindeutig bestimmbar, und es ist über den Lauf des Lebens unveränderbar. Entsprechend sah das Personenstandsrecht bis vor wenigen Jahren nur die beiden Geschlechtseinträge männlich und weiblich vor, wobei das einzutragende Geschlecht durch medizinisches Personal nach der Geburt durch den „Blick zwischen die Beine“ bestimmt wird. Außerdem war bis in die 1980er Jahre kein Verfahren vorgesehen, um das eingetragene Geschlecht zu ändern, falls es unzutreffend ist.

Geschlecht­liche Vielfalt im Grundgesetz

Diese in der Rechtsordnung verfestigten Grundannahmen wurden in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend infrage gestellt. Das BVerfG und damit allem voran die beschwerdeführenden Personen erwiesen sich als treibender Motor für die rechtliche Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt.

Grundrecht auf geschlecht­liche Selbst­be­stim­mung

Seit den 1970er Jahren entwickelte das BVerfG in zahlreichen Entscheidungen das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; Mangold/Roßbach 2023: 759). Es schützt das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität. Das Gericht erkennt an, dass die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht nach wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis nicht allein nach den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen im Zeitpunkt seiner Geburt bestimmt werden kann, sondern wesentlich auch von der psychischen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängt (BVerfG 2011: 56). Daraus folgt: Solange das Personenstandsrecht einen Geschlechtseintrag verlangt, muss die geschlechtliche Identität zutreffend eingetragen werden. Der Staat muss also Möglichkeiten schaffen, einen unzutreffenden Geschlechtseintrag ohne unzumutbare Hürden zu ändern. Zudem muss er Menschen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlen, eine weitere positive Eintragungsmöglichkeit jenseits von weiblich und männlich ermöglichen (BVerfG 2017).

Grund­recht­li­cher Diskri­mi­nie­rungs­schutz

Das grundrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG) schützt vor Diskriminierungen wegen des Geschlechts. 2017 stellte das BVerfG klar, dass auch nichtbinäre Menschen vor Diskriminierungen geschützt sind. Es begründete diese Entscheidung unter anderem mit der besonderen Vulnerabilität nichtbinärer Menschen in einer überwiegend nach binärem Geschlechtsmuster agierenden Gesellschaft (BVerfG 2017: 59). In demselben Beschluss wies das BVerfG darauf hin, dass auch der Gerichtshof der Europäischen Union den Schutz vor geschlechtsbezogener Diskriminierung weit gefasst habe und Diskriminierungen einbeziehe, die „ihre Ursache in der Geschlechtsumwandlung einer Person“ hätten. Dieser Hinweis kann so verstanden werden, dass das BVerfG auch trans* Personen in den Schutz des Art. 3 Abs. 3 GG einbeziehen will.

Gleichstellungsauftrag

Der grundrechtliche Gleichstellungsauftrag (Art. 3 Abs. 2 GG) besagt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind und der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert. Diese binär ausgestaltete Vorschrift ist Grundlage für positive Diskriminierungsmaßnahmen wie geschlechtsspezifische Fördermaßnahmen, Gleichstellungsbeauftragte oder Quoten. Das BVerfG hatte bisher keine Gelegenheit sich dazu zu äußern, inwieweit der grundrechtliche Gleichstellungsauftrag auch auf trans*, inter* und nichtbinäre Menschen Anwendung findet.

Änderung von Geschlechts­ein­trag und Namen

Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch den Gesetzgeber im einfachen Recht ist lückenhaft und unsystematisch. Das beginnt schon bei den Verfahren zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen (rechtliche Transition). Aktuell sieht das Recht noch unterschiedliche Verfahren für trans* und inter* Personen vor – dies wird sich mit Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes im November 2024 ändern. Insbesondere die Regelungen für trans* Personen standen dabei von Anfang an unter massiver Kritik und wurden mehrfach für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber scheint sich nur langsam von der Vorstellung eines binären, objektivierbaren, von außen feststellbaren Geschlechts lösen zu können.

Das Trans­se­xu­el­len­ge­setz

Trans* Personen können gemäß dem Transsexuellengesetz (TSG) ihre Vornamen und ihren Geschlechtseintrag in einem gerichtlichen Verfahren ändern. Voraussetzung hierfür sind zwei Sachverständigengutachten, die die Transgeschlechtlichkeit bestätigen. Diese Begutachtungen sind langwierig und beruhen auf teilweise entwürdigenden körperlichen Untersuchungen und Befragungen. Sie werden deshalb von Betroffenen und von Fachverbänden stark kritisiert.

Auch wenn das aktuelle Verfahren in der Kritik steht – bis hierhin war es ein langer und steiniger Weg. Als das TSG 1980 in Kraft trat und erstmals ein Verfahren zur rechtlichen Transition einführte, war dies an heute unvorstellbare Voraussetzungen geknüpft: Für die Änderung des Geschlechtseintrags waren unter anderem ein die äußeren Geschlechtsmerkmale verändernder operativer Eingriff, dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit sowie Ledigkeit erforderlich. Gegen diese menschenverachtenden Voraussetzungen mussten Betroffene über Jahrzehnte mühsam gerichtlich vorgehen. Eine nach der anderen erklärte das BVerfG alle Voraussetzungen bis auf die Begutachtungspflicht für verfassungswidrig. Die von Fachverbänden lange für dieses staatliche Unrecht geforderten Entschädigungsleistungen hat die aktuelle Bundesregierung im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt und dazu im Oktober 2023 beschlossen, dass noch vorhandene Gerichtsakten zu TSG-Verfahren nicht vor Ablauf des Jahres 2030 ausgesondert werden dürfen (Bundesregierung 2023a). Ein Gesetzentwurf für Entschädigungsleistungen ist jedoch noch nicht in Sicht.

Im April 2024 verabschiedete der Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz, welches das TSG ersetzen wirdi. Dies war lange überfällig. Denn: Trotz der zahlreichen Entscheidungen des BVerfG wurde das TSG nie reformiert; die verfassungswidrigen Vorschriften stehen zum Teil noch immer im Gesetz, versehen lediglich mit einer Fußnote, dass die Regelung nicht mehr anwendbar sei. Der Gesetzgeber passte das TSG auch 2018 nicht an, als der neue Geschlechtseintrag divers eingeführt wurde – nach TSG ist damit immer noch allein der Wechsel zwischen männlichem und weiblichem Personenstand möglich. Erneut fiel es einer betroffenen Person zu, im Instanzenzug bis vor den Bundesgerichtshof zu klären, dass das TSG für den Wechsel in den Personenstand divers analog angewendet werden muss.

Verfahren für inter* Personen

Für inter* Personen schuf der Gesetzgeber ein anderes Verfahren als für trans* Personen. 2013 wurde intergeschlechtlich geborenen Menschen ermöglicht, ihren Geschlechtseintrag streichen zu lassen. Eltern konnten entscheiden, den Geschlechtseintrag ihres intergeschlechtlich geborenen Kindes bei der Geburt offen zu lassen. Damit sollte unter anderem die gängige medizinische Praxis verhindert werden, intergeschlechtlich geborene Kinder geschlechtszuweisenden Genital-Operationen zu unterziehen, damit sie in das binäre Bild von Geschlecht passten. 2017 entschied das BVerfG, dass intergeschlechtlich geborene nichtbinäre Personen ein Recht auf einen positiven Geschlechtseintrag haben, woraufhin der Gesetzgeber 2018 den neuen Geschlechtseintrag divers sowie ein neues Verfahren zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen für inter* Personen einführte.

Seither können Menschen mit einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“ durch Erklärung gegenüber dem Standesamt und Vorlage eines ärztlichen Attests ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern (§ 45b PStG). Der Begriff Variante der Geschlechtsentwicklung wurde vom Gesetzgeber nicht definiert. Viele trans* Personen nutzten daher anfangs die im Vergleich zum TSG deutlich einfachere Möglichkeit der Änderung von Vornamen und Geschlecht und änderten ihren Personenstand über § 45b PStG. 2020 entschied jedoch der Bundesgerichtshof, dass diese Regelung nur für inter* Menschen anwendbar sei. Gesetzgeber und Bundesgerichtshof scheinen an der Idee eines objektiv überprüfbaren, biologisch eindeutig feststellbaren Geschlechts festzuhalten zu wollen. Das sieht man in der ärztlichen Attestpflicht des § 45b PStG sowie im Begutachtungserfordernis des TSG. In beiden Fällen soll das Geschlecht durch scheinbares Expert*innenurteil fremdbeurteilt und damit vermeintlich objektiviert festgestellt werden. Diese Vorstellung spiegelt sich auch in den Debatten zur Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes wider. Die Forderung von Betroffenen und Fachverbänden nach einem selbstbestimmten Geschlechtseintrag ohne Fremdbegutachtungen und Atteste begegnet in der Legislative Bedenken einer „Beliebigkeit“ des Geschlechts sowie großem Unbehagen hinsichtlich einer Nicht-Nachprüfbarkeit.

Nachnamen

In manchen Sprachräumen sind geschlechtsangepasste Nachnamen üblich (zum Beispiel Smola als männliche und Smolina als weibliche Form). Bis 2024 gab es kein rechtliches Verfahren für trans*, inter* und nichtbinäre Personen, geschlechtsangepasste Nachnamen ändern zu lassen. Trotz Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag musste also weiterhin mit einem unpassenden Nachnamen gelebt und damit Outings riskiert werden. Erst im April 2024 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das die Anpassung geschlechtsangepasster Ehe- oder Geburtsnamen ermöglicht, wenn eine trans*, inter* oder nichtbinäre Person ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen im Personenstandsregister ändert (Bundesregierung: 2023b). Maßgeblich soll dabei der jeweils aktuelle Eintrag im Personenstandsregister sein.

Unklare Rechtslage am Arbeits­platz und an (Hoch-)Schulen

Sowohl vor als auch nach der rechtlichen Transition bestehen zahlreiche Unklarheiten für schulische, studentische und Arbeitskontexte. Ungeregelt ist beispielsweise, inwieweit (Hoch-)Schulen und Arbeitgeber*innen den gewünschten Vornamen und das Identitätsgeschlecht bereits vor der rechtlichen Transition verwenden dürfen. Einige Hochschulen wie die Universität Göttingen ermöglichen das Studium mit den gewünschten Vornamen und Geschlechtseintragungen bereits vor der rechtlichen Transition, sowohl hochschulintern (E-Mailadressen, Studierendenausweis) als auch extern (Zeugnisse, Bescheinigungen); andere tun sich schwerer, wie eine Klage gegen die Humboldt-Universität zu Berlin nach dem Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz zeigt (GFF 2023). Teilweise scheitert eine geschlechtssensible Verwaltung auch schlicht an den genutzten Datenverarbeitungssystemen, die Änderungen von Namen und Geschlechtsmarkern oder nichtbinäre Geschlechtseinträge (noch) gar nicht zulassen.

Aber auch nach der rechtlichen Transition gibt es zahlreiche rechtliche Unsicherheiten – beispielsweise darüber, ob Arbeitgeber*innen oder (Hoch-)Schulen neue, geänderte Dokumente wie Zeugnisse oder Verträge ausstellen dürfen oder müssen, ob sie dies als Erst- oder Zweitschrift tun sollen und wer die Kosten dafür zu tragen hat. Unklarheit gibt es auch hinsichtlich des sogenannten Offenbarungsverbots, das für trans* Personen im TSG geregelt ist und die Offenbarung oder Ausforschung der vor der rechtlichen Transition geführten Vornamen ohne ein öffentliches oder rechtliches Interesse untersagt. Die sich hieraus ergebenden Pflichten für die Personalabteilungen von Arbeitgeber*innen und für (Hoch-)Schulen sind bisher allenfalls punktuell durch Rechtsprechung geklärt worden. Für inter* Personen, die ihre rechtliche Transition nach § 45b PStG durchgeführt haben, hatte der Gesetzgeber kein vergleichbares Offenbarungsverbot vorgesehen, obwohl deren Schutzinteressen vor einem ungewollten Outing wohl genauso schützenswert sind – ein weiterer Hinweis darauf, dass wir von einem durchdachten Gesamtkonzept zur Regelung geschlechtlicher Vielfalt noch weit entfernt sind. Im Selbstbestimmungsgesetz werden diese Ungleichbehandlungen sowie einige der rechtlichen Unklarheiten beseitigt, beispielsweise zu Fragen der Neuausstellung von Urkunden.

Geschlech­ter­ge­trennte Unter­brin­gung im Straf­vollzug

Noch nicht befriedigend gelöst ist die Unterbringung trans*, inter* und nichtbinärer Menschen in Justizvollzuganstalten. Hier führt auch das Selbstbestimmungsgesetz nicht zur Klärung. Für den Strafvollzug gilt grundsätzlich das sogenannte Trennungsprinzip, also eine geschlechtergetrennte Unterbringung. Manche Bundesländer ordnen Personen allein nach dem Zustand ihrer äußeren Genitalien in eine Unterbringung zu, andere richten sich ausschließlich nach dem Personenstand, wieder andere Länder wie Berlin treffen einzelfallbasierte Entscheidungen. Besonders schwierig ist die Unterbringung nichtbinärer Inhaftierter, denn es gibt derzeit keine Einrichtungen für nichtbinäre Menschen. Schwierig gestaltet sich zudem die Gewährleistung der transitionsspezifischen Gesundheitsversorgung im Vollzug – beispielsweise die Weiterführung einer Hormontherapie – sowie die Gewährleistung des Rechts auf rechtliche, medizinische und soziale Transition im Vollzug.

Gleich­stel­lungs­recht für trans*, inter* und nichtbinäre Menschen

Positive Diskriminierungsmaßnahmen sind meist darauf gerichtet, die Unterrepräsentanz von Frauen in (leitenden) Positionen oder bestimmten Berufsfeldern zu beseitigen. Quotenregelungen schreiben beispielsweise eine geschlechterparitätische Besetzung von Positionen mit Männern und Frauen (zB. § 7 Abs. 3 S. 1 BGleiG) oder einen bestimmten Mindestanteil von Männern und Frauen vor (z. B. § 7 Abs. 3 MitbestG). Bis zum Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes war ungeregelt, welche Folge eine rechtliche Transition für einen Quotenplatz hat. Nun bestimmt das Selbstbestimmungsgesetz, dass jeweils der Personenstandseintrag zum Zeitpunkt der Besetzung maßgeblich ist und eine nach der Besetzung erfolgte Änderung erst bei der nächsten Besetzung zu berücksichtigen ist. Leider verhält sich das Selbstbestimmungsgesetz nicht dazu, wie nichtbinäre Personen bei Quotenregelungen zu berücksichtigen sind. Es bleibt damit weiter unklar, ob nichtbinäre Personen ein unterrepräsentiertes Geschlecht sein können, das bei Fördermaßnahmen berücksichtigt werden sollte, oder ob Fördermaßnahmen wegen des binär ausgestalteten Gleichstellungsauftrags im Grundgesetz (Art. 3 Abs. 2 GG) grundsätzlich nur für Männer und Frauen gelten (so Dutta/Fornasier2020: 81). Ähnliche Fragen stellen sich bei der Besetzung von Gleichstellungsbeauftragten: In der Regel ist vorgesehen, dass diese Positionen mit Frauen zu besetzen sind. Die Klage einer nichtbinären Person gegen eine entsprechende Regelung im Niedersächsischen Hochschulgesetz wurde Anfang des Jahres abgewiesen (LAG Niedersachsen: 2023).

Famili­en­recht­liche Regelungs­lü­cken

Düster für die rechtliche Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt sieht es im Abstammungsrecht aus. Dieses regelt die Eltern-Kind-Beziehung, also welche Personen auf welche Weise rechtliche Elternteile von Kindern werden. Dieses Rechtsgebiet ist stark binär vergeschlechtlicht. Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat (§ 1591 BGB). Vater ist der Mann, der mit der Mutter verheiratet ist, die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen (genetische) Vaterschaft gerichtlich festgestellt worden ist (§ 1592 BGB). Ob und wie ein trans*, inter* oder nichtbinärer Mensch rechtlicher Elternteil wird und mit welcher Bezeichnung er in das Geburtenregister und in die Geburtsurkunde eingetragen wird, hängt von vielen Faktoren ab: ob es eine genetische Verwandtschaft gibt, welcher Geschlechtseintrag dem Elternteil bei Geburt zugewiesen worden ist, ob dieser vor oder nach der Geburt des Kindes geändert worden ist und ob die Änderung über das TSG oder über § 45b PStG vorgenommen wurde (BVT 2021: 11). Dies führt zu einer unüberschaubaren und unnötig komplexen Rechtslage.

In fast allen Fällen führen die derzeitigen Regelungen aber zur rechtlichen Elternstellung unter einer unpassenden Bezeichnung. Gebärende nichtbinäre oder trans*männliche Personen gelten rechtlich als „Mütter“. Sie werden mit ihrem abgelegten weiblichen Vornamen und Geschlechtseintrag in das Geburtsregister eingetragen. Zeugende trans*weibliche oder nichtbinäre Personen können durch Ehe, Vaterschaftsanerkennung oder gerichtliche Feststellung nur „Vater“ des Kindes werden (Bundesgerichtshof 2017). Wollen sie als Mutter oder Elternteil eingetragen werden, müssen sie ihr eigenes Kind als Stiefkind adoptieren (§ 42 Abs. 3 PStV); ein gerichtliches Verfahren, das Monate dauert, Jugendamt und Familiengericht involviert und häufig als demütigend empfunden wird.

Die unzutreffende Eintragung in die Geburtsurkunde und die daraus resultierende Diskrepanz zum Personalausweis und zum äußeren Erscheinungsbild führt für die betroffenen Eltern zu Problemen im Alltag, beispielsweise bei der Kita-Anmeldung, beim Arztbesuch oder bei Auslandsreisen. Einzelne Gerichte und Standesämter ermöglichen mittlerweile als Behelfslösung die Ausstellung von Geburtsurkunden mit dem geänderten Vornamen und Geschlechtseintrag; im Geburtenregister bleibt dabei der unzutreffende Eintrag bestehen. Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht künftig auf Verlangen der Eltern die Ausstellung von Geburtsurkunden mit der Bezeichnung „Elternteil“ ohne etwas an der bestehenden Eltern-Kind-Zuordnung zu ändern – dies soll durch eine gesonderte Reform des Abstammungsrechts angegangen werden.

Aufge­zwun­gene Binarität

Besonders gewaltsam zeigen sich die binären Geschlechtervorstellungen unserer Gesellschaftsordnung beim Umgang mit intergeschlechtlich geborenen Kindern und bei dem Phänomen sogenannter Konversionsbehandlungen.

Geschlechts­zu­wei­sende Operationen an inter­ge­schlecht­li­chen Kindern

Geschlechtszuweisende Operationen und medizinische Maßnahmen im Säuglings- und Kindesalter gehören zur Realität intergeschlechtlicher Menschen. Von Menschenrechtsorganisationen schon lange als Menschenrechtsverletzung eingestuft, dauerte es bis 2021, bis in Deutschland diese fremdbestimmten, irreversiblen und brutalen Eingriffe in Geschlecht, Sexualität und Fortpflanzungsfähigkeit intergeschlechtlich geborener Menschen endlich verboten wurden. Dieses Verbot (§ 1631e BGB) war ein wichtiger Schritt für die körperliche Selbstbestimmung intergeschlechtlicher Menschen. Leider stellt es den Schutz dieser Kinder noch nicht umfassend sicher; gerade bei der effektiven Verfolgung von Verstößen gibt es erheblichen Nachbesserungsbedarf (IMeV 2020). Problematisch ist insbesondere, dass das Gesetz nur Kinder mit „Variante der Geschlechtsentwicklung“ schützt – und damit den Kreis der geschützten Kinder der Deutungshoheit von Mediziner*innen überlässt. Damit bleiben „normangleichende“ Behandlungen wie beispielsweise das schmerzhafte Aufdehnen einer „unterentwickelten“ Vagina bei Kindern durch sogenanntes Bougieren möglich.

Konversionsmaßnahmen

Ein weiteres Feld, in dem sich sowohl das binäre Geschlechterverständnis als auch die Heteronormativität unserer Gesellschaft auf gewaltsame Weise zeigen, sind sogenannte Konversionsmaßnahmen. Darunter versteht man Praktiken, die darauf abzielen, Menschen von ihrer Trans- oder Intergeschlechtlichkeit oder Homo- oder Bisexualität zu „heilen“ und die bei den Betroffenen zu tiefsten seelischen und körperlichen Wunden führen können. Diese Praktiken konnten noch bis 2020 legal beworben und durchgeführt werden, obwohl Homosexualität bereits 1991 und Transsexualität 2019 als Diagnose aus der der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) der Weltgesundheitsorganisation gestrichen wurden, damit also anerkannt wurde, dass es sich nicht um behandlungsbedürftige oder gar „heilbare“ Krankheiten handelt. Das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen verbietet seither das Vermitteln, Bewerben und Anbieten dieser Pseudo-Therapien sowie das Durchführen an Minderjährigen. Aktuelle Studien legen jedoch nahe, dass Konversionsmaßnahmen auch drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes noch präsent sind. In der Befragung Unheilbar Queer? etwa gab ein Drittel der Befragten an, dass ihnen Handlungen vorgeschlagen worden waren, um ihre Geschlechtsidentität zu ändern; 43 Prozent wurde vorgeschlagen, sie zu unterdrücken. Diese Vorschläge kamen aus der Familie, aber auch von Seelsorgenden und Psychotherapeut*innen. Das sind erschreckende Erkenntnisse, die zeigen, dass geschlechtliche Vielfalt noch lange nicht ein normaler Teil unserer Gesellschaft ist (BZgA: 2023).

Geschlechts­be­zo­gene Hasskri­mi­na­lität

Hasskriminalität wird seit 2001 als politisch motivierte Kriminalität bundesweit statistisch erfasst. Die Fallzahlen werden jährlich vom Bundesinnenministerium veröffentlicht. Straftaten gegen trans*, inter* und nichtbinäre Personen wurden zunächst zusammen mit Straftaten gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle im Themenfeld „sexuelle Orientierung“ gemeinsam erfasst. Erst seit 2020 werden Straftaten gegen die sexuelle Orientierung und Straftaten gegen die geschlechtliche Identität getrennt erfasst: Zum 1. Februar 2020 führte das Bundesinnenministerium neben dem bestehenden Themenfeld „sexuelle Orientierung“ das weitere Themenfeld „Geschlecht/sexuelle Identität“ ein. Damit sollte nach Aussage des Ministeriums eine „trennscharfe“ Unterscheidung von „homophoben“ und „transphoben“ Taten ermöglicht werden (Bundesinnenministerium 2021). Die neue Kategorie war jedoch alles andere als trennscharf: Sexuelle Identität beschreibt die sexuelle Orientierung einer Person, nicht die geschlechtliche Identität. Der Begriff Geschlecht hingegen war viel zu weit und vermengte damit trans*- und inter*feindliche Beweggründe mit frauen- und männerfeindlichen. Zum 1. Februar 2022 wurde das Themenfeld daher – nach Kritik durch Fachverbände – weiter ausdifferenziert, nämlich in die drei Unterkategorien „frauenfeindlich“, „geschlechtsbezogene Diversität“ und „männerfeindlich“. Trans*- und Inter*feindlichkeit soll dabei unter „geschlechtsbezogene Diversität“ fallen.

Es gibt daher erst seit 2020 einigermaßen aussagekräftige amtliche Zahlen zu Straftaten, die aus Hass auf trans*, inter* und nichtbinäre Menschen begangen werden. Seither haben sich die Straftaten in der Statistik mehr als verdoppelt: Von 204 Fällen 2020 auf 417 Fälle 2022. Obwohl trans*, inter* und nichtbinäre Menschen zahlenmäßig nur einen kleinen Prozentsatz der LSBTIQ*-Community ausmachen, stellen Straftaten gegen die geschlechtliche Identität in der Statistik regelmäßig etwa ein Drittel der erfassten LSBTIQ*-feindlichen Straftaten. Dies verdeutlicht eindrücklich die besondere Vulnerabilität von (sichtbaren) trans*, inter* und nichtbinären Personen. Wir müssen davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl der begangenen Delikte noch weitaus höher liegt: Die geringe Anzeigebereitschaft der Betroffenen, Defizite im Ermittlungsverfahren und eine lückenhafte statistische Erfassung führen zu einem geschätzten Dunkelfeld von etwa 80 bis 90 Prozent (Ponti 2023).

Bei der strafrechtlichen Verfolgung dieser Hasstaten verhindern Lücken und Unklarheiten in der Strafprozessordnung und im Strafgesetzbuch oft eine adäquate Bestrafungii.

Gesundheitsversorgung

Inter* Personen haben derzeit in Deutschland keinen Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung. Grund sind vor allem die dürftige Forschungslage und fehlende Kenntnisse bei medizinischem Fachpersonal (IMeV 2022). Intergeschlechtlichkeit kommt in der Ausbildung medizinischer Fachkräfte kaum vor, evidenzbasierte Versorgungs- und Behandlungsangebote existieren (noch) nicht. Stattdessen werden inter* Personen im Behandlungskontext regelmäßig diskriminierenden oder exotisierenden Erfahrungen und Behandlungen ausgesetzt, die an medizinisch definierten männlichen und weiblichen Normwerten ausgerichtet sind. Bund und Länder müssen bei der Gesundheitsversorgung für inter* Personen dringend nachbessern.

Kaum besser ist die Versorgungslage für trans* Personen. Auch hier gibt es eine Unterversorgung mit trans*sensibler Medizin und zu wenig Forschung (BVT* 2022: 5). Das betrifft insbesondere die transitionsspezifische Gesundheitsversorgung, also Maßnahmen, die den Körper dem Identitätsgeschlecht anpassen, zum Beispiel Epilation, Hormontherapie oder Hilfsmittel wie Binder, mit denen die Brust abgeflacht wird. Bei der Beantragung der Kostenübernahme für diese Leistungen ist eine Begutachtungsanleitung des Medizinischen Diensts des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) aus dem Jahr 2020 maßgeblich. Diese bezieht sich auf die veraltete ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation für Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation) aus dem Jahr 1992, die Transgeschlechtlichkeit noch als psychische Störung führte. Entsprechend sieht die MDS-Begutachtungsanleitung zur Bewilligung der Kostenübernahme hohe Hürden vor. Die Kostenübernahme ist zudem nur für binäre geschlechtsangleichende Maßnahmen vorgesehen; Anträge von nichtbinären Personen werden in der Regel abgelehnt.

Die ICD-10 wurde 2022 durch die ICD-11 ersetzt, in welcher Transgeschlechtlichkeit nicht mehr als psychische Krankheit erfasst wird. Die Einführung in den klinischen Alltag in Deutschland soll noch mehrere Jahre dauern (BfArM 2022). Auf Basis der ICD-11 wurde 2018 eine neue medizinische Leitlinie für trans* Gesundheit veröffentlicht, die aktuelle, evidenzbasierte Forschungsergebnisse berücksichtigt und trans* Personen mehr Mitbestimmung während der Transition zugesteht. Diese Leitlinie ermöglicht ausdrücklich auch geschlechtsangleichende Maßnahmen für nichtbinäre Personen. Die Kostenübernahme hierfür ist jedoch nicht gesichert: Die Klage einer nichtbinären Person auf Kostenübernahme für eine Mastektomie hat das Bundessozialgericht gerade unter anderem deshalb abgewiesen, weil die Behandlung nicht an den normativ vorgegebenen Phänotypen „männlich/weiblich“ ausgerichtet und damit der Bewertung anhand eines objektiven Maßstabs nicht zugänglich gewesen sei (BSG 2023). Da die Behandlung außerdem auf der neuen Leitlinie beruhe, die von den bisherigen Behandlungsmethoden abweiche, sei bis zur Prüfung und Bewertung dieser Leitlinie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss keine Kostenübernahme möglich. Das Urteil ist ein dringender Appell an die Politik, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Verbesserungen der Gesundheitsversorgung für trans*, inter* und nichtbinäre Menschen anzugehen und auch für nichtbinäre Menschen transitionsspezifische Gesundheitsversorgung zugänglich zu machen.

Binäre Rechts­ord­nung schränkt Teilhabe ein

Trans*, inter* und nichtbinäre Menschen stehen einem Flickenteppich rechtlicher Regelungen und einer prekären Gesundheitsversorgung gegenüber. Leider reagiert der Gesetzgeber nur zögerlich und wirkt häufig überfordert. Aktuelle Gesetzentwürfe wie der des Bundesinnenministeriums, der zwar die Amtsbezeichnungen für nichtbinäre Menschen neu regeln will, aber lediglich eine Wahlmöglichkeit zwischen den bereits bestehenden binären weiblichen oder männlichen Amtsbezeichnungen (oder eine Doppelbezeichnung) und den Klammerzusatz „divers“ beziehungsweise „ohne Geschlechtsangabe“ vorsieht, lassen keine großen Hoffnungen aufkommen, dass sich dies in naher Zukunft ändern wird (Bundesinnenministerium 2023).

Die mangelhafte Abbildung geschlechtlicher Vielfalt in der Rechtsordnung schränkt die soziale und politische Teilhabe von trans*, inter* und nichtbinären Menschen erheblich ein. Diskriminierungserfahrungen und mangelnde Fachkenntnis in der gesundheitlichen Not- und Regelversorgung stellen eine erstzunehmende Hürde für gesundheitliche Teilhabe dar. Trans*, inter* und nichtbinäre Elternteile müssen ihre eigenen Kinder adoptieren und werden mit unzutreffenden Bezeichnungen in das Geburtenregister eingetragen. Durch das Auseinanderfallen von amtlichen Papieren und geschlechtlicher Identität vor der rechtlichen Transition kann jeder Behördengang, jeder Arztbesuch zur Ansprache im falschen Geschlecht, zu unangenehmen Nachfragen oder abwertenden Kommentaren führen. Besonders spürbar war dies während der COVID-19-Pandemie, als jede Teilnahme am öffentlichen Leben das Vorzeigen von Impfnachweisen, Testzertifikaten und Personalausweisen erforderte, was trans*, inter* und nichtbinären Personen die soziale Teilhabe extrem erschwerte. Es ist wohl noch ein langer und steiniger Weg, bis unsere binär vergeschlechtlichte Rechtsordnung dekonstruiert und geschlechtliche Vielfalt angemessen rechtlich abgebildet sein wird.

 

Dr. Sarah Ponti geboren 1987, Dr. jur., LL.M. (Universität Melbourne), Jurist*in, neuste Veröffentlichungen: Das horizontale Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten (2023); Queerfeindliche Hasskriminalität in Deutschland, in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hrsg.), Wissen schafft Demokratie, Bd. 23 (2023), S. 112-125.

 

Literatur

Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (EU-Grundrechteagentur) 2020: A long way to go for LGBTI equality, Wien.

Bundesgerichtshof 2017: Beschluss des XII. Zivilsenats vom 29.11.2017 – XII ZB 459/16.

Bundesministerium des Innern und für Heimat (Bundesinnenministerium) 2021: Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine schriftliche Frage der Abgeordneten Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) vom 10. Februar 2021, Berlin.

Bundesministerium des Innern und für Heimat (Bundesinnenministerium) 2023: Entwurf eines Gesetzes über die Lehrverpflichtung des hauptberuflich wissenschaftlichen Personals an Hochschulen des Bundes und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften, Berlin.

Bundessozialgericht (BSG) 2023: Geschlechtsangleichende Operationen für non-binäre Personen derzeit keine Kassenleistung, Az. B 1 KR 16/22 R, Pressemitteilung vom 19.10.2023, Kassel.

Bundesregierung 2023a: Erste Verordnung zur Änderung der Justizaktenaufbewahrungsverordnung (1. JAktAVÄndV), BR-Drucksache 486/23.

Bundesregierung 2023b: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ehenamens- und Geburtsnamensrechts, BT-Drucksache 20/9041.

Bundesverband Trans* (BVT*) 2022: Trans* Gesundheit, Empfehlungen für die Stärkung der transitionsspezifischen und allgemeinen Gesundheitsversorgung, Berlin.

Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2011: Beschluss des Ersten Senats vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3295/07.

Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2017: Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 2023: Forschungsergebnisse belegen: Konversionsbehandlungen auch drei Jahre nach Verbot weiterhin Thema, Pressemitteilung vom 20.06.2023.

Dutta, Anatol/Fornasier, Matteo 2020: Jenseits von männlich und weiblich – Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung im Arbeitsrecht und öffentlichen Dienstrecht des Bundes, Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Baden-Baden.

Deutscher Ethikrat 2012: Intersexualität, Stellungnahme, Berlin.

Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) 2023: Deadname auf dem Studierendenausweis: Humboldt-Universität zu Berlin diskriminiert trans, inter und nicht-binäre Studierende, https://freiheitsrechte.org/themen/gleichbehandlung/tin, zuletzt abgerufen am 29.10.2023.

Intergeschlechtliche Menschen e.V. (IMeV) 2020: Stellungnahme zum weiteren Gesetzgebungsverfahren eines „Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, Hamburg.

Intergeschlechtliche Menschen e.V. (IMeV) 2022: Fakten zu Intergeschlechtlichkeit #9, (K)ein Recht auf Gesundheitsversorgung? Hamburg.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG Niedersachsen) 2023: Urteil vom 24.02.2023, 16 Sa 671/22.

Mangold, Anna Katharina/Roßbach, Susanna 2023: Das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung, in: JuristenZeitung, Jg. 78, H. 17, S. 756-767.

Ponti, Sarah 2023: Queerfeindliche Hasskriminalität in Deutschland, in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hrsg.): Wissen schafft Demokratie, Bd. 23, Berlin, S. 112-125.

Anmerkungen:

i Vgl. zum Transsexuellengesetz und zum Selbstbestimmungsgesetz den Beitrag von Anna Lena Göttsche und Susanna Roßbach in diesem Heft.

ii Exemplarisch lässt sich dies am neu eingeführten Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung zeigen (§ 192a StGB): Dieser stellt Hassbotschaften gegen geschlechtliche Minderheiten nicht unter Strafe. Offenbar wurden sie im Gesetzestext schlichtweg „vergessen“, denn die Gesetzesbegründung legt nahe, dass der Gesetzgeber diese eigentlich hatte unter Strafe stellen wollen – ein Versehen, das dringend einer gesetzlichen Klarstellung bedarf. Schließlich ist gerade diese Gruppe aktuell besonders stark von Hass und Hetze betroffen.

nach oben