Beitragsbild „100% identitär“: Die rechtsextreme Identitätspolitik der Identitären
Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 244: Identitätspolitik zwischen Selbstbestimmung und Abspaltung

„100% identitär“: Die rechts­ex­treme Identi­täts­po­litik der Identitären

Dass es auch rechtextreme Identitätspolitik gibt, zeigt nicht zuletzt die Bewegung der „Identitären“. Judith Goetz argumentiert, dass die Gruppe nicht nur über den Untergang des Abendlandes wegen Multikulturalismus, politische Korrektheit und Feminismus herbeifantasieren, sondern mit dem Konzept des „Ethnopluralismus“ eine rassistische Ideologie als Identitätsangebot propagiert. Dazu rekonstruiert und analysiert Goetz die Geschichte und die Inhalte der „Identitären“ im deutschsprachigen Raum. Sie kommt zum Ergebnis, dass das identitäre Denken von Identitätsentwürfen geprägt ist, die auf eine Rückgewinnung starrer Ordnungsmuster, auf eine Diskriminierung des „Anderen“ und auf eine Rückvereindeutigung der durch Feminismus, Gender-Theorie sowie Egalitarismus und Liberalismus ins Wanken gebrachten normativen Konzepte abzielt.

 

Debatten rund um Identitätspolitik, politische Korrektheit, Wokeness oder Diskriminierungsschutz garantieren seit geraumer Zeit öffentliche Aufmerksamkeit, deren Potential zur Verbreitung politischer Propaganda auch die extreme Rechte erkannt hat. Ein näherer Blick auf entsprechende Auseinandersetzungen zeigt, dass sich rechtsextreme Akteur*innen auf drei – unterschiedlichen, wenn auch miteinander verbundenen – Ebenen beteiligen. So inszenieren sie sich auf drei Arten:

  1. Sie inszenieren sich als Opfer linker und emanzipatorischer Identitätspolitiken sowie damit verbundener Bestrebungen, bestehenden Diskriminierungen entgegen zu wirken – etwa, indem sie sich gegen vermeintliche Sprechverbote oder eine imaginierte Meinungsdiktatur auflehnen. Gleichzeitig adaptieren rechtsextreme Gruppierungen.

  2. Identitätspolitische Diskurse nutzen für ihre Zwecke, indem sie ihre jeweilige eigene nationale und ethnische Identität als bedroht und ebenso diskriminiert konstruieren, um so Schutz für sich zu beanspruchen.

  3. Liefern sie dadurch ein identitätspolitisches Angebot, das nicht nur für Sympathisant*innen rechtsextremer Ideologien zunehmend an Attraktivität gewinnt.

Am Beispiel der rechtsextremen ‚Identitären‘ soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie die Gruppe mit Hilfe von Untergangsfantasien ihrer ‚ethnokulturellen Identität‘ nicht nur ihre rassistische Ideologie, sondern auch ein scheinbar widerspruchsfreies Identitätsangebot propagiert. Dafür wird in einem ersten Schritt die Geschichte und Ideologie der ‚Identitären‘ umrissen, um in weiterer Folge Bezugnahmen der Gruppe auf das Phänomen Identität zu beleuchten. Die Analyse der Bedeutung von Identitätspolitik in der Ideologie wie auch der politischen Praxis der ‚Identitären‘ wird daran anknüpfend veranschaulichen, dass Identität einen zentralen Referenzpunkt der Gruppe bildet, mit dem sie einerseits versucht, Antidiskriminierungspolitiken von Rechts zu adaptieren und dadurch auch bestehenden Schutz von strukturell benachteiligten Gruppe zu delegitimieren. Andererseits wird deutlich werden, dass sie sich lediglich neuer Strategien und Begriffe bedienen, um altbekannte, rechtsextreme Denkmuster zu verschleiern.

Neue Strategien, alte Inhalte

In Österreich wie auch Deutschland gründeten sich die ‚Identitären‘i 2012 nach dem französischen Vorbild der ‚Génération identitaire‘, der Jugendsektion des ‚Bloc identitaire‘. Für einige Jahre erlangte die Gruppe mit spektakulären Aktionen („Besetzungen“ von Parteizentralen, Störungen von Veranstaltungen, Klettern auf Hausdächer etc.) großes öffentliches Aufsehen und wurde zu einer wichtigen Akteurin des außerparlamentarischen Rechtsextremismus in beiden Ländern. Nachdem sie von ihrer anfänglichen Behauptung, dass sie weder „links noch rechts“ seien, Abstand genommen hatten, stellten sie sich selbst in die Tradition der sogenannten Neuen Rechten. Damit gaben sie einerseits vor, mit der ‚Alten Rechten‘ und deren affirmativen Bezügen auf den Nationalsozialismus gebrochen zu haben. Andererseits ermöglichte ihnen diese Selbstinszenierung anfänglich, sich vom Rechtsextremismus zu distanzieren. Durch die Verwendung weniger belasteter Begriffe versuchten Mitglieder der Gruppe geschickt, sich harmloser darzustellen als sie es eigentlich waren. So sprachen die ‚Identitären‘ nicht mehr vom „Volkstod“ oder der „Umvolkung“ sondern vom „Großen Austausch“, sie forderten keine Abschiebungen, sondern „Remigration“ii, und ihren Rassismus verschleierten sie als „Ethnopluralismus“. (Böhm 2010; Goetz 2017a; Grawan 2021; von Olberg, Hans-Joachim 2020) In Anlehnung an den kritischen Arbeitsbegriff von Willibald Holzer (1993), der Rechtsextremismus über die dahinter stehenden Ideologien – allen voran den Antiegalitarismus – definiert, kann die Gruppierung jedoch klar als rechtsextrem eingestuft werden. Der Kern rechtsextremen Denkens ergibt sich Holzer zufolge aus der Ablehnung der Idee der Gleichheit aller Menschen, der Berufung auf das Prinzip der Natur/Natürlichkeit sowie undemokratischen und antipluralistischen Einstellungsmustern. Diese Facetten rechtsextremer Ideologe zeigen sich bei den ‚Identitären‘ sowohl anhand ihres völkischen Weltbilds, als auch an den antifeministischen Rhetoriken, ihrem Antisemitismus sowie den rassistischen Einstellungen. (Aftenberger 2018; Goetz 2017b, 2020b) Ein weiterer Unterschied zur ‚Alten Rechten‘ und klassischen Neonazis ergab sich zudem durch den Auftritt der ‚Identitären‘ als junge, modern-konservative, intellektuelle hippe und gleichzeitig patriotische und wehrhafte Jugendbewegung, die besonders junge Menschen ansprechen wollte. (vgl. u. a. Grigori/Trebing 2018) Seit ihres Bestehens spielen Bezugnahmen auf die unterschiedlichen Facetten einer nationalen und ethnischen Identität eine zentrale Rolle in der Ideologie der ‚Identitären‘. Bis heute inszeniert sich die Gruppe in ihren fatalistischen Bedrohungs- und Untergangsfantasien als die „letzte Generation“, die den durch die dekadente Moderne und die Zuwanderung verursachten „Großen Austausch der Kulturen“ und damit auch den Verlust der europäischen Identität verhindern könne. (vgl. u. a. Goetz 2020; Goetz/Winkler 2020) Der imaginierte Verfall der europäischen Gesellschaft und die Probleme einer kapitalistisch verfassten Gesellschaft werden somit in altbekannter Manier externalisiert und einzig auf „Einwanderer*innen“ projiziert. Dadurch wird auch deutlich, dass es vor allem neue Strategien sind, mit denen die ‚Identitären‘ Politik machen wollen, nicht jedoch neue Inhalte. (vgl. u .a. Boehnke 2019; Goetz 2017, 2019)

Neben ihren Kontakten zu extrem rechten Parteien wie der AfD oder der FPÖ, pflegte die Gruppe außerdem internationale Beziehungen sowohl zu Ablegern in anderen Ländern sowie auch zu bekannten Figuren des Rechtsextremismus (Bruns et al. 2016; Goetz et al. 2017; Havertz 2021; Nissen 2022). Eine Spende jenes Rechtsterroristen, der in Christchurch (Neuseeland) 2019 über 50 Menschen ermordet hatte, an einen österreichischen Kader sowie die Namensgleichheit seines Manifests mit einer langjährigen Kampagne der ‚Identitären‘ zogen jedoch nicht nur Distanzierungen, sondern auch eine Welle der Repression nach sich. (vgl. u. a. Goetz/Winkler 2020, 2023) So verkündete selbst der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek gegen Ende 2019, dass die Marke ‚Identitäre‘ „nun bis zur Unberührbarkeit kontaminiert“ sei. Während die ,Identitären‘ in Österreich seit Ende 2019/Beginn 2020 zunehmend von ihrem Label Abstand nahmen und stattdessen versuchten, eine Bürger*innenbewegung namens ,Die Österreicher‘ zu etablieren, war es auch um die ,Identitären‘ in Deutschland, abseits kleineren Skandalen rund um Verbindungen zu AfD Politiker*innen, ruhiger geworden. Von Beginn an unterschieden sich ,Die Österreicher‘ inhaltlich kaum von den ‚Identitären‘, lediglich die Sprache und Zielgruppe wurden ein wenig verändert. So geben sie sich weiterhin patriotisch, behaupten, nicht rechtsextrem zu sein und argumentieren in ethnopluralistischer Manier, nicht rassistisch sein zu wollen. Anstelle des propagierten „Großen Austauschs“ sind sie dazu übergegangen, sich gegen eine imaginierte „Ersetzungsmigration“ oder „Ersetzung“ zu engagieren (Goetz 2022), sie organisierten keine Stammtische mehr, sondern „Bürgertreffpunkte“ und richten ihr politisches Programm nicht mehr vorrangig an Jugendliche. Trotz ihrer „Tarnversuche“ wurden die Symbole beider Gruppen 2020 in Österreich verboten, was öffentliche Auftritte mit Wiedererkennbarkeitswert seitdem deutlich erschwert. Die mediale Berichtserstattung wie auch Rechtsextremismus-Expert*innen prognostizieren den ‚Identitären‘ schon seit einiger Zeit keine bedeutsame Zukunft mehr. Kurzzeitigen Aufwind beziehungsweise Sichtbarkeit konnten die unterschiedlichen Ableger der Gruppe in deutschsprachigen Ländern noch im Zuge der Proteste gegen Covid-19 Maßnahmen erlangen. Mit Parolen wie „Volksschutz statt Mundschutz“ nutzte sie die Demonstrationen für ihre rassistische Agenda und beteiligte sich zudem an der Verbreitung von Verschwörungsnarrativen. Ihre jüngsten Versuche, gemeinsam mit christlichen Fundamentalist*innen und Corona-Verharmloser*innen gegen Lesungen von Dragqueens zu mobilisieren, erwiesen sich ebenfalls als wenig mobilisierungsfähig, wenngleich sie dadurch vermehrt öffentliche Aufmerksamkeit bekamen. Dennoch scheinen sie nicht mehr an ihre Erfolge der ersten Jahre anknüpfen zu können. Gerade der sinkende Bedarf an außerparlamentarischen rechtsextremen Organisierungsformen in Zeiten starker und einflussreicher rechtsextremer Parteien verheißt ihnen weiterhin keine allzu relevante Zukunft. Dennoch haben sie mit ihrer Propaganda rechtsextreme Diskurse und Politiken nachhaltig ideologisch beeinflusst, weshalb sich Analysen ihres Gedankenguts auch nach wie vor von großer Bedeutung für ein fundiertes Verständnis des modernisierten Rechtsextremismus erweisen.

Identitäre Identi­täts­ver­ständ­nisse

Die zentrale Bedeutung, die dem Identitätsbegriff in der Ideologie wie auch politischen Praxis der ‚Identitären‘ zukommt, zeigt sich bereits bei der Namensgebung der Gruppe, die auf das französische Vorbild zurückgeht. Der Gebrauch dieses, bislang politisch weniger belasteten Begriffs hat vor allem zwei Vorteile: Zum einen ermöglicht es ihnen die Bezugnahme auf ‚Identität‘, ihren Rassismus zu verschleiern; zum anderen handelt es sich um einen umkämpften Begriff, dessen Bedeutung die ‚Identitären‘ in ihrem Sinne neu auszugestalten versuchen.

Hinweise darauf, was Identität im Verständnis der Gruppe ausmacht, fanden sich in der Vergangenheit unter anderem in den FAQs auf der Homepage der ‚Identitären Bewegung Deutschlands‘ (IBD) in der Beantwortung der Frage: „Was heißt für euch eigentlich ‚Identität‘?“ (IBD o. J. a)iii. Dort war von drei Ebenen der Identität die Rede, die sich durch eine regionale (geprägt durch Dialekte, Bräuche, Sitten des jeweiligen Herkunftsorts), eine nationale (gekennzeichnet durch die Bindung des Individuums zum eigenen „Volk“ und den dort vorherrschenden sozialen, sprachlichen und kulturellen Regelsystemen) und eine europäische (im Sinne eines „Europas der Vaterländer“, das jedoch ein gemeinsames Erbe und Schicksal teilt) ergeben. Der zentrale Begriff im identitären Denken ist jedoch bis heute jener der ethnokulturellen Identität, die in engem Zusammenhang mit dem Konzept des „Ethnopluralismus“ steht. Dieses gibt vordergründig vor, dass jedes „Volk“ respektive jede „Ethnie“ oder „Kultur“ gleich an Wert und in ihrer Differenz grundsätzlich erhaltenswert sei – jedoch nur so lange diese auch auf dem für sie anberaumten Territorium bleiben. Jedes „Volk“ – so auch das deutsche – hätte folglich eine einzigartige, beschützenswerte „ethnokulturelle Identität“, für deren Verteidigung sich die ‚Identitären‘ stark machen.

Hinter diesem Gedankenkonstrukt verbirgt sich jedoch im Grunde genommen nichts anderes als das Ideal einer „globalen Apartheid“ (Holzer 1993: 40), die weltweit alle „Völker“ oder „Kulturen“ territorial klar voneinander trennen soll. „Verwischungen“ oder „Vermischungen“ zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen sollen in dieser Logik unter dem Vorwand der „Erhaltung des Eigenen“ verhindert werden. Die territoriale Trennung dient dabei als beste Möglichkeit, die vermeintlichen Differenzen aufrecht zu erhalten. Abgesehen davon, dass diese Vorstellung die über Jahrhunderte vollzogene Migrationsgeschichte ignoriert, negiert sie auch Differenzen innerhalb der Gemeinschaften und die durch gesellschaftliche Interaktion entstehende Dynamik, die mit der Möglichkeit auf Veränderung verbunden ist. Zwar gibt es, den ‚Identitären‘ zufolge, auch eine individuelle Komponente der Identität, jedoch seien die „individuelle und kollektive Identität unauflösbar miteinander verbunden“, hieß es bei der IBD (o. J. b) außerdem. Indem einer „Masse von Menschen ein unveränderlicher gemeinsamer Charakter unterstellt [wird], dem sich der Einzelne nicht entziehen kann“ (Winkler 2017: 62), bleibt dem Individuum letztlich nichts anderes übrig, als sich „dem Kollektiv“ unterzuordnen. Mit anderen Worten: Das Individuum wird im identitären Denken von seiner „ethnokulturellen Identität“ so stark geprägt und vorherbestimmt, dass es kein Entkommen geben kann, keine Möglichkeit auf Veränderung. Identität wird somit zum Schicksal, das Individuum – rechtsextremen Denkweisen entsprechend – zum Teil einer Schicksalsgemeinschaft.

„0% rassistisch, 100% identitär“?

Étienne Balibar (2014 [1990]) sprach bereits Anfang der 1990er von einem „Rassismus ohne Rassen“ in Bezug darauf, dass die rassistische Vorstellung von körperlich-biologischen Unterschieden durch das Konstrukt einer vermeintlich unüberwindbaren „kulturelle Differenz“ abgelöst wurde. Weil inzwischen nicht mehr so einfach von „Rassen“ gesprochen werden kann, ist nun von „kulturellen Unterschieden“ die Rede, die mit anderen Kulturen nicht zusammenpassen würden. Genauer betrachtet handelt sich in erster Linie um eine sprachliche Neuerung und strategisch eingesetzte rhetorische Mittel, weniger jedoch um eine grundlegende Veränderung der Ideologie des Rassismus. Wo einst den Individuen bestimmter Herkunft biologische Eigenschaften zugeschrieben wurden, sind es heute kulturelle. In diesem Sinne ist auch das Konstrukt der „ethnokulturellen Identität“ der ‚Identitären‘ als Verschleierung des identitären Rassismus zu deuten. Wenn die Gruppe somit von ethnisch und kulturell vorbestimmten und erhaltenswerten Unterschieden spricht, die weder verändert werden können noch sollen, wird dem altbekannten Rassismus lediglich ein moderneres Antlitz verpasst. „Der Begriff der ‚Identität‘ ist bei den ‚Identitären‘ weiterhin ein völkischer, der jedoch kulturalistisch umschrieben wird“ (Winkler 2017: 63). Die Behauptung der ‚Identitären‘, dass sie „0% rassistisch, 100% identitär“ seien, ist entsprechend zu hinterfragen. Schließlich wird Identität einerseits über die Homogenisierung von ethnisch beziehungsweise kulturell konstruierten Kollektiven und andererseits über den Ausschluss vermeintlich Anderer hergestellt.

Identitätsverlust

Im Vordergrund identitärer Politiken steht der Kampf für die „Bewahrung der ethnokulturellen Identität“, denn „[j]edes Volk“ hätte, so die identitäre Logik, „auch das Recht, diese Eigenschaften und Merkmale seiner ethnokulturellen Identität zu bewahren und zu verteidigen“ (IBD o. J. a). Bedroht wird diese Identität in den identitären Fantasien auf vielfältige Art und Weise. Auf der bereits erwähnten Homepage der IBD hieß es: „Ursachen für den Verlust unserer Identität gibt es viele: Verwestlichung und Vereinheitlichung der Sitten und Bräuche, liberaler Individualismus, Zerstörung der Sprache, Konsumzwang, Materialismus, fehlendes Geschichtsbewusstsein, Ethnomasochismus, etc.“ (IBD o. J. b). Neben der bereits erwähnten „Vermischung“ aufgrund von „Zuwanderung“ sehen die ‚Identitären‘ ihre „ethnokulturellen Identität“ vor allem durch Egalitarismus und Liberalismus, Multikulturalismus und Gender-Theorie sowie auch durch die Moderne und die Globalisierung bedroht. Anders formuliert: „Beklagt wird ein angeblicher Identitäts- und Werteverlust, der bruchstückhaft über antifeministische und sexistische, antisemitische und rassistische Bilder und Rhetoriken der Bedrohung hergeleitet wird“ (Mokros et al. 2021: 247).

Was den Multikulturalismus, Diversität und die Gender-Theorie betrifft, so werfen die ‚Identitären‘ der politischen Linken und der diesbezüglich sozial engagierten Zivilgesellschaft vor, damit die Zerstörung der Identität voranzutreiben. Die „kranke Ideologie der Gleichheit“, so der Kopf der ‚Identitären‘ in Österreich in einem Video-Blog von 2013, würde Gleichwertigkeit und Gleichheit ebenso wie Gleichheit und Gerechtigkeit in eins setzen und auf diesem Wege versuchen, die Menschheit zu „vereinheitlichen“. Dadurch entstünde letzten Endes ein „Einheitsmensch“. Das Gleichheits- und Gleichbehandlungsgebot aller Menschen wird in dieser Logik zur Ausmerzung von Unterschieden zwischen Menschen umgedeutet. In dieser Vorstellung gebe es in weiterer Folge keine „authentischen“ Vertreter*innen der „ethnokulturellen Identität“ und auch „keine echten Männer und keine Frauen mehr“ (Sellner 2013).

Bedroht wird die identitäre Vorstellung von „Identität“ zudem, weil sie sich nicht entfalten könne, wie sie wolle und auch nicht als das anerkannt werde, was sie sei. Dass es in Deutschland und Österreich im Vergleich zu anderen Staaten nicht möglich sei, einen „gesunden Patriotismus“ zu entwickeln und zu vertreten, sehen die ‚Identitären‘ im Zusammenhang mit der sogenannten „Politik der Schuld“. Diese reduziere die Geschichte des deutschen „Volkes auf seine dunkelsten Perioden“ – die Shoah – und verhindere somit, positive Bezüge auf „Volk“, Geschichte und Tradition. Entsprechend geht es den ‚Identitären‘ auch darum, einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus zu ziehen, um wieder stolz auf Deutschland sein und sich mit vollem Einsatz der Erhaltung der „deutschen Identität in ihrer Einzigartigkeit“ widmen zu können. „Gesunder Patriotismus“ als scheinbar naturhafter Instinkt zur „Verteidigung des Eigenen“ würde keine „Masseneinwanderung“ zulassen und könnte dem identitären Denken zufolge vermutlich auch den imaginierten „Großen Austausch“ zurückdrängen.

Zudem beklagen die ‚Identitären‘, dass seit der Moderne „der Einzelne […] immer mehr gezwungen [wird], die Entscheidungen bezüglich seiner Identität selbst zu treffen“ (IBD o. J. b). So wird von den Mitgliedern der Gruppierung die Ausweitung der Möglichkeiten für das Individuum betrauert, die eigene Identität so auszugestalten, wie es dies möchte. Den eigenen Identitätsentwurf selbst wählen zu können, lässt die Bedeutung vermeintlicher („ethnischer“, „kultureller“ oder „geschlechtlicher“) Vorherbestimmung in den Hintergrund treten. Den ‚Identitären‘ geht es folglich nicht darum, selbst gewählt verschieden sein zu können, sondern um die Pflicht, bestimmten Differenzkategorien wie Herkunft oder Kultur entsprechend, verschieden sein zu müssen.

Rechts­ex­tremer Identi­täts­schutz

Identität zum zentralen Politikum zu machen, bietet sich folglich als vor allem deshalb an, weil es sich hierbei um einen nicht klar (vor-)definierten, inhaltlich oder ideologisch wenig gefestigten Begriff handelt. Seine Bedeutung ist von einem permanenten Aushandlungsprozess gekennzeichnet, in dem auch die ‚Identitären‘ wie auch ihre Nachfolgeorganisation ‚Die Österreicher‘ mitmischen will. So nahm Identität auch in ihrem „Fünf Schritte für Österreich“-Programm (Die Österreicher o. J.) von Beginn an eine wichtige Rolle ein, beispielsweise in den Bezugnahmen auf das Erbe einer 1000 Jahre alten österreichischen Identität sowie auch in Forderungen, den Schutz dieser Identität in die Verfassung aufzunehmen. Stärker als noch zu Zeiten der ‚Identitären‘ versucht die Gruppe identitätspolitische Rhetoriken von Rechts zu adaptieren und für ihre Zwecke zu nutzen. Über die Selbstinszenierung als Opfer einer politisch korrekten – kulturmarxistischen, feministischen oder woken – Elite, die der Mehrheit der Bürger*innen ihre Vorstellungen sowie Denkverbote aufzwingen wolle, versuchen ‚Die Österreicher‘ nicht nur Diskriminierungsschutz oder rechtliche Verbesserungen für benachteiligte Gruppen zu delegitimieren. Fernholz erkennt in dieser Selbstviktimisierung auch die Möglichkeit der Abwehr von Kritik, da diese „wie eine Art Blitzableiter“ funktioniere, „die Angriffe auf die überhöhte eigene Position stets als Erlebnis erneuter Unterdrückung begreift und damit in moralisches Kapital umwandelt“ (Fernholz 2022: 279). Gleichzeitig begünstigt, wie Marie Michel (2022: 287f.) betont, „die narrative Selbstinszenierung dieser ‚Rechten‘ als ohnmächtiges Opfer und Feindbild der vermeintlich mächtigen ‚Linken‘“ verbindende Einigkeit innerhalb eines doch sehr heterogenen Spektrums herzustellen und einen „kollektiven Akteur [zu] beschwören“. Damit geht sowohl eine Aufwertung des Kollektivs als auch der individuellen gesellschaftlichen Position einher und gerade die vielseitig betonte Dringlichkeit zu handeln, birgt zudem großes Mobilisierungspotential. So meint auch Fernholz, dass die kollektive Identität „den Aktivist*innen und den Unterstützer*innen der Bewegung zu dem Gefühl [verhilft], an einem gemeinsamen politischen Projekt teilzuhaben“ (Fernholz 2022: 281).

Im Sinne der beschriebenen Selbstviktimisierung meinte beispielsweise ein aktuell führender Kader der ‚Österreicher‘ in einem Interview mit dem rechten Freilich Magazin 2021: „Wir versuchen damit [ihrer Arbeit] aufzuzeigen, dass ein gesunder, selbstbewusster Zugang zur eigenen Herkunft und Identität von der herrschenden Ideologie nicht mehr toleriert wird. Das muss sich ändern!“ (Freilich Magazin 2021) Wie eine solche Änderung aussehen könnte, verrät unter anderem das bereits erwähnte Fünf Schritte für Österreich-Programm, in dem nicht nur in Punkt „3. Leitkultur und De-Islamisierung“ die Bewahrung des Erbes „der mehr als 1000 Jahre alte[n] Identität“ (Die Österreicher o. J.) gefordert wird. Punkt 5 widmet sich darüber hinaus gänzlich dem „Identitätsschutz“, der sogar in die Verfassung aufgenommen werden sollte. ‚Identität‘ wird dabei nicht nur „als unser wichtigstes Gut“ konstruiert, sondern auch als ein bedrohtes Territorium abgesteckt, das geschützt werden müsse: „Wie der Erhalt der Umwelt muss der Erhalt unserer Identität zum demokratischen Grundkonsens werden“ (Die Österreicher o. J.). Mit scheinbar harmlos anmutenden Formulierungen wie dieser zielen identitäre Rhetoriken darauf ab, Sinnzusammenhänge und Bedeutungen zu konstruieren. So beinhaltet die genannte Formulierung durch die Analogisierung von Umwelt und Identität eine Naturalisierung von Identitätsvorstellungen als etwas Naturgegebenes und damit auch scheinbar Unveränderbares. Damit geht gleichzeitig auch die bereits beschriebene Homogenisierung und Essentialisierung der beschworenen Kollektividentität ‚der Österreicher*innen‘ einher, die unterstellt, dass es eine homogene natürliche österreichische Identität geben würde. Im Zentrum dieser steht kein universales Verständnis von Zugehörigkeiten, das all jene umfasst, die sich damit identifizieren können und wollen, sondern die erwähnte ethnisch beziehungsweise nationale und dadurch essentialistisch bestimmte Gemeinschaft, die sich durch bestimmte Eigenheiten, Merkmale und Traditionen auszeichnen und die „Leitkultur“ ausmachen würde. Die Zugehörigkeit des Großteils der in Österreich lebenden Menschen zu diesem scheinbar naturgegebenen Zwangskollektiv beruht folglich nicht auf Freiwilligkeit, sondern ergibt sich der identitären Ideologie zufolge aufgrund von Geburt oder Abstammung. Den Angehörigen der konstruierten Gemeinschaft würden zudem bestimmte gesellschaftliche Privilegien zustehen, während andere in Österreich lebende Menschen von selbigen ausgeschlossen bleiben sollten, weil sie die „Reinheit“ und Homogenität selbiger gefährden würden. Es zeigt sich also, dass entsprechende Vorstellungen immer auf Ausschlüssen basieren, weil sie einerseits von Normen abweichende Identitätsvorstellungen und Lebensentwürfe abwerten, delegitimieren und teilweise sogar als Bedrohung konstruieren, andererseits aber auch ganze Personengruppen aufgrund ihrer Herkunft gänzlich von der konstruierten Gemeinschaft ausschließen. In dieser Hinsicht lässt sich der in der genannten Formulierung ebenfalls konstruierte Zusammenhang zwischen „Identitätsschutz“ und Demokratie als diskursive Strategie zur Legitimierung der eigenen antidemokratischen Ideologie entlarven, zumal sich die Forderung gegen zentrale Bestandteile der demokratischen Verfasstheit einer Gesellschaft richtet: Egalitarismus und Pluralismus.

Identi­täts­schutz als Aufrecht­er­hal­tung von Ungleich­heits­ver­hält­nissen

Die von der Nachfolge- beziehungsweise Tarnorganisation der ‚Identitären‘ propagierte Ideologie bleibt jedoch nicht bei der Forderung nach Schutz der konstruierten österreichischen Identität stehen. Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, zielt ihre Politik darauf ab, „Österreicher*innen“ selbst als bedrohte und benachteiligte Minderheit zu inszenieren, um auf diesem Wege politische Strategien der Antidiskriminierung für sich zu beanspruchen. In diesem Sinne fordern ‚Die Österreicher‘ beispielsweise die Ausweitung der im Artikel 7 des österreichischen Staatsvertrags festgeschriebenen Minderheitenrechte auf Österreicher*innen. Die Grundlage für die Beanspruchung des Minderheitenstatus beschränkt sich dabei auf die Behauptung, dass „Österreicher […] in manchen Gegenden selbst zur Minderheit werden oder es in Schulen und Kindergärten bereits sind“ (Die Österreicher o. J.). In eine ähnliche Richtung argumentiert zudem das im Juni 2023 in Österreich gestartete „Heimatschutz-Volksbegehren“iv, das aufgrund der sprachlichen und argumentativen Ähnlichkeiten aus der selben Ecke stammen dürfte. Gefordert wird darin neben der Implementierung einer Präambel zum „Schutz der Identität des Staatsvolkes“ in österreichischen Verfassungstexten, die Umwandlung des Kulturministeriums in ein „Ministerium für Leitkultur & Identität“, mit dem Ziel der „Förderung der heimischen Kultur und eine[r] Stärkung des Patriotismus, des Zusammenhalts und des positiven Bezugs zur ethnokulturellen Identität“ (Heimatschutz-Volksbegehren 2023). Konkret heißt es: „Auch die Einheimischen stellen, im Zuge des Bevölkerungsaustausch in einer ‚Multiminoritätengesellschaft‘ immer deutlicher, eine solche Volksgruppe dar und haben Anspruch auf die Wahrung ihres Volkstums“ (Heimatschutzvolksbegehren 2023). Rechtsextreme Akteur*innen wie die Initiator*innen des Volksbegehrens versuchen sich mit entsprechenden Rhetoriken als Bewahrer*innen einer vermeintlich bedrohten nationalen Identität zu inszenieren. Die in beiden Beispielen vollzogene diskursive Umkehrung, bei der ohnehin gesellschaftlich bevorteilte Angehörige der Dominanzgesellschaft zu vermeintlich Benachteiligten stilisiert werden, zielt nicht auf den Abbau von Benachteiligung, sondern vielmehr auf den Erhalt bestehender Macht- und Privilegiensysteme sowie die Fortsetzung des Ausschlusses aller Nichtangehörigen ab. Insofern bedeutet die Benachteiligung, die von den ‚Identitären‘ respektive ‚Österreichern‘ hier imaginiert wird, letztlich nichts Anderes als die Infragestellung ihrer Vormachtstellung, die durch wirksamen Minderheitenschutz und -förderung, Affirmative-Action-Programme sowie Antidiskriminierungsgesetzgebungen ins Wanken gebracht wurde. Politiken und Maßnahmen, die tatsächliche gesellschaftliche Veränderungen vorantreiben, sollen jedoch, so liest sich zwischen den Zeilen eines weiteren Anliegens des „Heimatschutz-Volksbegehrens“, als verfassungswidrig eingestuft werden, da sie von den Initiator*innen der Petition vermutlich zu jenen Politiken gezählt werden können, die den Schutz der beschworenen Identität unterminieren würden (Heimatschutz Volksbegehren 2023). Im Mittelpunkt rechtsextremer Adaptionen von Antidiskrimininerungs- und Minderheitenschutznarrativen steht folglich immer auch die Delegitimation des Schutzes tatsächlich benachteiligter Gruppen, da die Aufrechterhaltung bestehender Privilegiensysteme nicht mit dem Abbau struktureller Ungleichheitsverhältnisse vereinbar ist. Während linke Identitätspolitik, wie beispielsweise Lea Susemichel und Jens Kastner (2019) herausstreichen, „in der Regel eine Reaktion auf Diskriminierung“ ist und darauf reagiert, „dass einem vermeintlichen Kollektiv bestimmte – nicht unweigerlich ausschließlich negative – Eigenschaften zugeschrieben werden“, setzt rechtsextreme Identitätspolitik genau bei der essentialisierenden Konstruktion von ethnischen Kollektiven an, reagiert damit jedoch nicht auf Benachteiligung, sondern auf befürchteten oder tatsächlichen Privilegienverlust.

Eindeutige Identität

Den beschriebenen imaginierten Bedrohungen ihrer ethnokulturellen Identität versuchen die ‚Identitären‘ und ihre Nachfolgeorganisation mit einem scheinbar widerspruchsfreien, eindeutigen Identitätsangebot zu begegnen. Gerade durch ihren Fokus auf Natürlichkeit, Eindeutigkeit und Stabilität bieten rechtsextreme Identitätsangebote vermeintliche Sicherheit vor den inszenierten Bedrohungen. Ihre Ideologie liefert dadurch nicht nur ein vereindeutigtes Identitätsangebot, sondern ermöglicht ihnen auch, Identitätspolitik von Rechts zu betreiben. Gerade der Umstand, dass Untergangsnarrative durchwegs auch in der Mitte der Gesellschaft Gehör finden, ließen, wie Fernholz (2022: 284) betont, rechtsextreme Identitätspolitik auch „zu einem plausiblen Angebot zur Verteidigung eines autoritär (bürgerlichen) Dominanzanspruchs werden“.

Wie dargelegt, setzen sich die ‚Identitären‘ (und ‚Die Österreicher‘) für den Erhalt einer scheinbar organisch gewachsenen, homogenen Gemeinschaft – samt ihrer Traditionen und Bräuche oder Dialekte – ein. Identität speist sich in dieser Vorstellung aus ethnischen und kulturellen Elementen und fungiert als Ausdruck einer natürlich gewachsenen, gesellschaftlichen Ordnung, die auch mit bestimmten Ansprüchen verbunden ist. Weil die „Kulturen“ unterschiedlich seien, müssten sie auch unterschiedlich behandelt werden. Denn Gerechtigkeit könne nur hergestellt werden, wenn dem unterschiedlichen Wesen durch Ungleichbehandlung nachgekommen würde. Die „ethnokulturelle Identität“ soll folglich nicht nur erhaltet und verteidigt werden, sie sichert dem Individuum auch auf einen bestimmten Platz in der Gesellschaft und dem mit diesem verbundenen Kollektiv einen Rang in der Weltordnung. In diesem Sinne meint auch Fernholz (2022: 178), dass sich das rechtsextreme Identitätsangebot „nicht nur durch empowernde ‚Überlegenheitsgefühle‘ gegenüber anderen aus[zeichnet], sondern […] diese Überlegenheit als objektive Gegebenheit ideologisch voraus[setzt]“. So lässt sich aus der identitären Logik ein Vorrecht ableiten, an einem bestimmten Ort leben und die eigene „ethnokulturelle Identität“ als Norm gegen das „Andere“ verteidigen zu dürfen. Um an dieser Vormachtstellung teilhaben zu dürfen, wird vom Individuum jedoch die Unterordnung unter die normativen Zwänge des Kollektivs abverlangt. Dies geschieht einerseits über den Einsatz vertrauter, identitätsstiftender Begriffe wie Heimat, Sprache und Tradition, mit denen Identifikationsmomente hergestellt werden. Auf der anderen Seite bringt das in identitären Kreisen verbreitete Identitätskonzept für das Individuum bestimmte Anreize und Vorteile mit sich. Dazu zählt das Versprechen klarer Vorgaben beziehungsweise Antworten auf die Anforderung, die eigene Identität selbst ausgestalten zu müssen. Gerade für jene, die diese Anforderung als Überforderung erleben, „bieten Ideologien kollektiver Identität, deren wirkungsmächtigste Kategorien aktuell ‚Kultur‘, ‚Geschlecht‘ und Nation sind, eine quasi vorpolitische und scheinbar natürliche Identitätsbegründung, mit der sozial-politische Rechte und Privilegien durch den Ausschluss der ‚Anderen‘ gerechtfertigt werden können. Je tiefer und ‚verwurzelter‘ diese Identitätsbegründung, desto unumstößlicher scheint sie.“ (Winkler 2017: 70) In diesem Sinne setzen auch die ‚Identitären‘ in ihrer Ideologie neben der ‚ethnokulturellen‘ Facette der Identitätskonstruktion, auf einen biologistisch argumentierten, komplementär und hierarchisch konstruierten Geschlechterdualismus, der ausschließlich zwei (authentische) Geschlechter als zulässige Norm anerkennt.

Anstatt die eigene Identität nach den jeweiligen Bedürfnissen und individuellen Möglichkeiten zu begründen und selbst auszugestalten sowie die Widersprüchlichkeit dieser Anforderungen zwischen Zwang und Selbstverwirklichung eigenständig zu bewältigen, werden von den ‚Identitären‘ klare, scheinbar natürliche und unveränderbare Kategorien (wie „Geschlecht“, „Kultur“, „Ethnie“) als zentrale Eckpfeiler der Identität vorgegeben. Sie erzeugen auf diese Weise die Illusion von Halt und Orientierung. Die Vorstellungen von Vielfalt und die Möglichkeit, verschieden sein zu können, werden auf vermeintlich naturhafte Unterschiede (zwischen den „Geschlechtern“ und den „Kulturen“) reduziert, für deren Erhalt sich die ‚Identitären‘ einsetzen und als deren Retter*innen sie sich inszenieren. Durch diese Grenzziehungen wird die geschlechtliche wie die „ethnokulturelle Identität“ aktiv hergestellt und gleichzeitig von all dem, was sie nicht sein darf, abgegrenzt. Gleichzeitig werden spezifische, homogenisierende Vorstellungen auch dem vermeintlichen „Anderen“ zugeschrieben. Im damit verbundenen Reinheitsgedanken, der „Verwischungen“ und „Vermischungen“ von „Ethnien“ oder „Kulturen“ oder Geschlechtern ablehnt, spiegelt sich nicht nur das Bedürfnis nach strengen Ordnungskonzepten wider, die Orientierung verschaffen sollen, sondern auch die Angst vor Widersprüchen, Ambivalenzen und Ambiguitäten. Dem rigiden Geschlechterdualismus und der veränderungsresistenten, „ethnokulturellen Identität“ kommt somit eine Schutzfunktion zu, die vor all jenen Zumutungen bewahren soll, die durch Pluralisierungen und Veruneindeutigungen in der Gesellschaft entstehen könnten.

So zielen die das identitäre Denken prägenden Identitätsentwürfe letzten Endes auf eine Rückgewinnung starrer Ordnungsmuster und auf eine Rückvereindeutigung der durch Feminismus, Gender-Theorie sowie Egalitarismus und Liberalismus ins Wanken gebrachten normativen Konzepte ab. Insofern weist die Identitätspolitik der ‚Identitären‘ zwar einen Ausweg aus bestehenden gesellschaftlichen Problemen, jedoch keine Antwort oder Lösung, zumal auch der Ausweg nur einer sehr privilegierten gesellschaftlichen Gruppe vorbehalten ist und nicht ohne den diskriminierenden Ausschluss vermeintlich „Anderer“ auskommt. Gerade weil es den ‚Identitären‘ um die Schaffung einer „ethnisch relativ homogenen Gemeinschaft“ geht, die unter den Voraussetzungen einer durch Migration geprägten Gesellschaft nur mit massiver Gewalt durchzusetzen wäre, bleibt ihre Ideologie brandgefährlich.

 

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschaftlerin, Rechtsextremismus-Expertin und Gender-Forscherin. Sie hat zahlreiche Sammelbände zu Rechtsextremismus mitherausgegeben, darunter auch Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen ‚Identitären‘ (2017).

 

Literatur

Aftenberger, Ines 2017: Die ‚identitäre‘ Beseitigung des Anderen. Der gar nicht mehr so neue Neorassismus der ‚Identitären‘, in: Goetz, Judith/Sedlacek, Joseph Maria/Winkler, Alexander: Untergangster des Abendlandes, Hamburg, S. 203-226.

Balibar, Étienne/Wallerstein, Immanuel Maurice 2014: Rasse, Klasse, Nation: ambivalente Identitäten, Hamburg.

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Quellen

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Anmerkungen:

i Der korrekte Eigenname würde eigentlich ‚Identitäre Bewegung‘ (IB) lauten. Da es sich auch beim Gruppennamen jedoch um eine Selbstbezeichnung handelt, die nicht zuletzt auch die Strategie verfolgt, sich größer darzustellen als es real der Fall ist, wird hier von den ‚Identitären‘, nicht jedoch von einer ‚Bewegung‘ die Rede sein.

ii Der Begriff Remigration wird von rechtsextremen Gruppen wie den Identitären verwendet, um eine politische Forderung nach der massenhaften Deportation von Menschen zu beschönigen. Ursprünglich aus der NS-Exilforschung stammend und die Rückkehr von vor dem Nationalsozialismus Geflohenen beschreibend, wird der Begriff durch die Identitären umgedeutet und im politischen Diskurs als Synonym für Massenabschiebungen genutzt. Eine im Januar 2024 veröffentlichte Recherche von Correctiv enthüllte, dass rechtsextreme Akteur*innen bei einem geheimen Treffen nahe Potsdam zum Thema „Remigration“ einen Plan zur Vertreibung von Millionen Menschen diskutierten.

iii Die meisten Internetseiten und Social-Media-Accounts der ‚Identitären‘ sind inzwischen nicht mehr online.

iv In Österreich stellen Volksbegehren ein demokratisches Instrument im Sinne von „Volkspetitionen“ dar, mit denen die Behandlung eines Gesetzesvorschlags im Nationalrat erwirkt werden kann, wenn mindestens 100.000 gültige Unterschriften von wahlberechtigten Bürger*innen vorgelegt werden können.

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