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Verfas­sungs­wid­riger Verfas­sungs­schutz - Entschei­dung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts über das Bayerische Verfas­sungs­schutz­ge­setz

vorgänge09/2022Seite 143-149

Im Jahre 2016 hat Bayern sich ein neues, grundlegend geändertes Verfassungsschutzgesetz gegeben. Über die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht am 26. April 2022 entschieden (Az. 1 BvR 1619/17) und dabei eine Vielzahl von Befugnisnormen für verfassungswidrig erklärt. Der folgende Beitrag erläutert nicht nur die Folgen für das bayerische Gesetz, sondern auch die grundsätzlichen Schranken für die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden, die das Gericht in seiner Entscheidung aufgestellt hat.

Es ist erschreckend festzustellen, dass nahezu jedes Jahr das Bundesverfassungsgericht ein Bundes- oder Landesgesetz, welches angeblich der inneren Sicherheit dienen soll, für verfassungswidrig erklären muss, weil die Innenpolitiker aller Parteien ein angebliches Grundrecht auf Sicherheit postulieren und dies über alle anderen Grundrechte stellen und sehenden Auges bei der Verabschiedung insbesondere von Polizei- und Verfassungsschutzgesetzen deren Verfassungswidrigkeit in Kauf nehmen. Dabei sind in der Regel schon im Gesetzgebungsverfahren in der Sachverständigenanhörung die verfassungsrechtlich kritischen Punkte aufgezeigt worden; dass aber die Regierung oder die die Regierung tragenden Fraktionen darauf eingehen, kommt praktisch nie vor, wie der Verfasser dieses Beitrags aus vielfältiger eigener Erfahrung als Sachverständiger im Bundestag oder in den Landtagen feststellen musste. Der Gesetzgeber sieht offensichtlich seine oberste Aufgabe nicht darin, die Grundrechte zu schützen, sondern er versucht, die Grenzen der Verfassung auszutesten bzw. zu überschreiten. Soll doch erst einmal jemand Verfassungsbeschwerde einlegen und das Bundesverfassungsgericht dann in fünf Jahren oder mehr eine Entscheidung verkünden. Dann können wir uns ja immer noch danach richten – oder auch nicht.

So hat auch unmittelbar nach Verkündung dieses Urteils der bayerische Innenminister Joachim Herrmann erklärt, dass man das bayerische Verfassungsschutzgesetz eben überarbeiten werde. Das wird aber nicht leicht sein – und es betrifft alle Verfassungsschutzgesetze des Bundes und der Länder. „Es gibt kein einziges Gesetz, das die Vorgaben des Urteils vollständig erfüllt“, erklärte der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht, Prof. Dr. Matthias Bäcker (Mainz), im SPIEGEL. Das Gericht habe „klargemacht, dass alles, was eine stärkere Eingriffsintensität hat – etwa V-Leute, lang andauernde Observationen, komplexe Abhörtechnik oder Zugriff auf Daten in größerem Umfang – im Grunde nur zulässig ist, wenn es um Gewalt- und Straftaten geht.“ Die Abwehr und Verfolgung von Gewalt- und Straftaten ist aber Aufgabe der Polizei und nicht des Verfassungsschutzes (VS), dessen Kernaufgabe ja gerade – von den Innenministern immer wieder betont – es ist, ein Frühwarnsystem zu sein durch die Beobachtung und Sammlung von Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, weit im Vorfeld von Gewalt- und Straftaten.

Grund­sätz­li­ches zur Arbeit der VS-Behörden

Das 93-seitige Urteil stellt in seinem überwiegenden Teil lehrbuchartig dar, dass Überwachungsmaßnahmen und auch die Weitergabe von dadurch erlangten Informationen immer Grundrechtseinschränkungen sind und hierfür ganz maßgeblich der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt. Dies bedeutet, dass mit steigender Intensität des Grundrechtseingriffs auch die Schwelle der Zulässigkeit und das Erfordernis einer Vorabkontrolle durch eine unabhängige Stelle steigen.

Daraus folgt zum einen, dass die Schwelle für die Sammlung von Informationen und die einfache Beobachtung von Bestrebungen und Personen durch den Verfassungsschutz (anders als bei der Polizei) nicht das Vorliegen einer konkreten Gefahr erfordert, da der Verfassungsschutz (anders als die Polizei) nicht über anschließende operative Befugnisse verfügt. Im gleichen Zuge betont das Verfassungsgericht allerdings in den Randziffern 182 ff., dass für die vergleichsweise „harmlose“ einfache Beobachtung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen „tatsächliche Anhaltspunkte“ vorliegen müssen für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung.

„Die bloße Kritik an Verfassungsgrundsätzen reicht für die Annahme einer verfassungsfeindlichen Bestrebung nicht aus, wenn sie nicht mit der Ankündigung von oder der Aufforderung zu konkreten Aktivitäten zur Beseitigung dieser Grundsätze verbunden ist … (die Verfassungsschutzbehörde) darf danach gerade nicht verdachtsunabhängig, quasi erst zur Schöpfung eines Verdachts ins Blaue hinein oder zur Generierung von Daten auf Vorrat eine Beobachtung durchführen … Bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, sind unzureichend“

Voraussetzung jeglicher verfassungsschützerischer Tätigkeit sind also tatsächliche Anhaltspunkte für das Bestehen einer verfassungsfeindlichen Bestrebung zur Beseitigung der freiheitlichen Grundordnung.

Diese grundlegende Aussage im lehrbuchartigen Teil des Urteils hat eigentlich mit der konkreten Verfassungsbeschwerde wenig zu tun, ist aber – wenn sie denn von den Verfassungsschutzbehörden ernst genommen würde – von großer Bedeutung.

Wenn allerdings die Intensität der VS-Maßnahmen über die einfache Beobachtung hinausgeht, dann gelten von Verfassungs wegen auch für die Verfassungsschutzbehörden die hohen Anforderungen wie bei den Eingriffen der Polizei, dass nämlich Maßnahmen nur bei „herausragendem öffentlichen Interesse“ und bei besonders schweren Straftaten verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden können. Und damit kommt das Urteil dann zu den konkret als verfassungswidrig gerügten Vorschriften des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes.

Für rechts­widrig erklärte Einzel­be­fug­nisse

Nach dessen Artikel 9 darf der Verfassungsschutz eine Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln durchführen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen für eine dringende Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen, deren Erhaltung im besonderen öffentlichen Interesse geboten ist. Nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts hat der bayerische Landesgesetzgeber dabei offenbar „übersehen“, dass die Voraussetzungen einer derartigen Wohnraumüberwachung in Artikel 13 Abs. 4 des Grundgesetzes festgelegt sind, verbindlich auch für den bayerischen Gesetzgeber und die bayerische Verfassungsschutzbehörde. Das bayerische Gesetz will dem Verfassungsschutz die Wohnraumüberwachung gestatten zur Erfüllung seiner Aufgaben, nämlich zur Informationsbeschaffung. Das ist aber ein unzulässiger Zweck nach Artikel 13 Abs. 4 Grundgesetz. Dort ist Voraussetzung einer solchen Wohnraumüberwachung, dass diese „zur Abwehr dringender Gefahren“ erfolgt, was aber wiederum nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes, sondern der Polizei ist. Da Artikel 9 des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes eine solche Begrenzung auf den Zweck der Abwehr von Gefahren nicht enthält, ist er verfassungswidrig (Randziffer 301). Darüber hinaus dürfte selbst im Rahmen einer Gesetzesänderung der Verfassungsschutzbehörde eine technische Wohnraumüberwachung auch zur Abwehr dringender Gefahren von Verfassungs wegen „nur subsidiär für den Fall eingeräumt werden, dass geeignete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut ansonsten nicht rechtzeitig erlangt werden kann“. Da der Verfassungsschutz ohnehin nur als Frühwarnsystem im Vorfeld von Gefahren tätig wird und tätig werden soll, ist ein solcher Fall schwer vorstellbar, so dass eine „Rettung“ der Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln als Befugnis für den Verfassungsschutz auch bei einer angekündigten Überarbeitung des Gesetzes wohl ausgeschlossen sein dürfte.

In Artikel 10 des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes wird dem Verfassungsschutz die Online-Durchsuchung gestattet, also der verdeckte Zugriff auf informationstechnische Systeme. Dadurch wird das vom Verfassungsgericht entwickelte Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme berührt. Auch hier stellt das Bundesverfassungsgericht in Randziffer 307 ff. fest, dass dieselben Regeln wie bei der technischen Wohnraumüberwachung gelten, dass solche Maßnahmen nämlich nur zur Abwehr einer dringenden Gefahr und lediglich subsidiär dann zulässig sind, wenn die Polizei nicht rechtzeitig zur Stelle sein kann. Somit ist auch die Online-Durchsuchung verfassungswidrig – und auch bei einer Überarbeitung des Gesetzes wohl kaum verfassungsrechtlich zulässig zu regeln.

In Artikel 12 des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes wird dem Verfassungsschutz erlaubt, mit technischen Mitteln den Standort von Mobilfunkendgeräten zu orten. Damit wird in die grundrechtlich geschützte informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen eingegriffen. Wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Gefahr für die Schutzgüter des Verfassungsschutzes gegeben sind, wäre eine solche punktuelle Ortung von Mobilfunkgeräten durch den Verfassungsschutz verfassungsrechtlich zulässig (Randziffer 317 ff.). Darauf beschränkt sich aber Artikel 12 des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes nicht. Sondern nach dieser Vorschrift könnte auch das Mobilfunkendgerät einer beobachteten Person permanent geortet werden und dadurch ein Bewegungsprofil entstehen. Das würde eine deutlich erhöhte Intensität des Grundrechtseingriffs bedeuten, so dass eine schwerwiegende Gefahr für die Schutzgüter des Verfassungsschutzes nicht ausreichend ist, sondern qualifizierte Voraussetzungen im Gesetz genannt werden müssten und wegen des hohen Eingriffsgewichts zudem eine Vorabkontrolle durch eine unabhängige Stelle (Randziffer 332) zu erfolgen hätte. Da beides fehlt, ist die Vorschrift verfassungswidrig.

Besonders dreist ist die Regelung in Artikel 15 Abs. 3 des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, dass die Verfassungsschutzbehörde von den Anbietern von Telekommunikationsdienstleistungen Auskünfte verlangen kann zu den dort gem. § 113a TKG alter Fassung gespeicherten Verkehrsdaten (§ 175 TKG neuer Fassung). Dabei ist in § 113c TKG alter Fassung ausdrücklich geregelt, dass die Daten ausschließlich an Gefahrenabwehrbehörden und nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben, Freiheit einer Person oder Bestand von Bund oder Land gegeben werden dürfen, und die Verfassungsschutzbehörden sind eben keine Gefahrenabwehrbehörden. Daher hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall sich nicht darauf beschränkt, die Verfassungswidrigkeit des Artikel 15 bayerisches Verfassungsschutzgesetz festzustellen, sondern hat diese Vorschrift ohne Heilungsmöglichkeit ausdrücklich für nichtig erklärt.

Nach Artikel 18 des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes darf das Landesamt eigene Mitarbeiter unter einer Legende als verdeckte Mitarbeiter einsetzen. Dies bedeutet nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen Eingriff in das Grundrecht auf die informationelle Selbstbestimmung und ist verfassungswidrig, weil sie keine hinreichenden Eingriffsschwellen und keine Regelung zum zulässigen Adressatenkreis enthält und es an einer Vorabkontrolle durch eine unabhängige Stelle fehlt. Der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung liegt darin, dass verdeckte Ermittler bei den zu beobachtenden Personen eine Vertrauensbasis aufbauen, da sie sonst die gewünschten Informationen nicht erhalten würden, und dies einen schwerwiegenden Eingriff darstellt. Dafür ist nicht ausreichend, dass es tatsächliche Anhaltspunkte gibt für eine möglicherweise verfassungsfeindliche Bestrebung, die Eingriffsschwelle muss erheblich höher angesetzt werden. Voraussetzung für den Einsatz verdeckter Ermittler muss sein, dass dies zur Aufklärung einer „bestimmten nachrichtendienstlich beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung im Einzelfall geboten ist“ (Randziffer 343). Sollen nicht Bestrebungen, sondern Personen ausgeforscht werden, muss der zulässige Adressatenkreis im Gesetz definiert werden. Und schließlich ist bei derart intensiven Grundrechtseingriffen eine unabhängige Vorabkontrolle erforderlich durch eine externe Stelle, die bei länger andauernden Einsätzen zudem wiederholt werden muss.

Da der Einsatz verdeckter Ermittler, die sich erst das Vertrauen der beobachteten Bestrebung oder Person erarbeiten müssen, wohl immer längerfristig erfolgt zur Gewinnung von Informationen über zukünftige Aktivitäten der Bestrebung oder Person, dürften die vom Verfassungsgericht geforderten Voraussetzungen bei Beginn des Einsatzes eines verdeckten Ermittlers wohl nur in den seltensten Fällen vorliegen.

Für den Einsatz von Vertrauensleuten nach Artikel 19 des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes gelten dieselben Regeln wie bei verdeckten Ermittlern, da auch diese Vertrauensleute, die in der Regel Mitglieder der zu beobachtenden Bestrebung sein werden, ja das Vertrauen der anderen Mitglieder ihrer Organisation missbrauchen und somit ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt. Da sich auch hier keine Regelungen im Gesetz über die Höhe der Eingriffsschwelle, über den Adressatenkreis und über eine externe Vorabkontrolle finden, liegt Verfassungswidrigkeit vor.

Dasselbe gilt ebenfalls für Artikel 19a des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes, wonach der Verfassungsschutz eine längerfristige Observation auch mit technischen Mitteln durchführen darf, wenn dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten mit erheblicher Bedeutung erforderlich ist. Zwar handelt es sich hier um die Observation außerhalb von Wohnungen. sie darf aber nach der verfassungsgerichtlichen Entscheidung (Randziffer 356 ff.) nur erfolgen zur Aufklärung einer bestimmten, nachrichtendienstlich beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung im Einzelfall. Wenn das Gesetz fordert, dass eine solche Observation nur zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten „mit erheblicher Bedeutung“ zulässig ist, so ist dies nach Auffassung des Verfassungsgerichts zu pauschal und vage und nicht hinreichend bestimmt, zumal der Gesetzgeber in der Begründung ausdrücklich auch Beobachtungsobjekte mit nur geringer Bedeutung nennt. Zusätzlich fehlt es auch in diesem Fall an einer vorhergehenden und ggfs. wiederholten externen Kontrolle.

Rechts­wid­rige Vorschriften zur Daten­über­mitt­lung an Dritte

Schlussendlich regelt Artikel 25 des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes die Weitergabe von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an dritte Stellen. Hierdurch ist ebenfalls das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung betroffen, da auch die Weitergabe einer Information einen neuen Grundrechtseingriff darstellt. Einer solchen Informationsweitergabe kann zum einen das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei entgegenstehen. Zum zweiten können dadurch Behörden Informationen erhalten, die der Verfassungsschutz zulässigerweise mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangt hat, während der empfangenden Behörde nachrichtendienstliche Mittel verwehrt sind. Für solche Informationsweitergaben gibt es daher verfassungsrechtlich hohe Schranken, die der bayerische Gesetzgeber nur scheinbar einzuhalten verspricht.

Nach Artikel 25 Abs. 1 Ziffer 1 darf der bayerische Verfassungsschutz solche Informationen an öffentliche inländische Stellen übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Empfänger die Informationen benötigt u. a. für „Zwecke der öffentlichen Sicherheit“. Das ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keine wirkliche Begrenzung der Informationsweitergabe, denn die öffentliche Sicherheit ist die Unversehrtheit der gesamten Rechtsordnung und somit könnte jede Information weitergegeben werden bei jeglichem Rechtsverstoß, während bei mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobenen Informationen eine Weitergabe verfassungsrechtlich nur zulässig ist zum Schutz eines Rechtsguts von herausragendem öffentlichen Interesse. Diese Voraussetzung fehlt in der gesetzlichen Bestimmung.

Weiter ist nach Artikel 25 Abs. 1 Nr. 3 eine Weitergabe von Informationen zulässig an dritte Stellen, soweit der Informationsempfänger „dabei auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beiträgt oder Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit zu würdigen hat.“ Dazu stellt das Verfassungsgericht in Randziffer 370 lapidar fest: „Damit ist die Übermittlung praktisch vollständig freigegeben, weil so gut wie jede Behörde berufen ist, diese Belange zu wahren.“

Nach Artikel 25 Abs. 2 soll der Verfassungsschutz Informationen, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, an Staatsanwaltschaften, Finanzbehörden und Polizeien weitergeben dürfen zur Verhinderung, sonstigen Verhütung oder Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung. Auch hier sind die Voraussetzungen der Informationsübermittlung nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu niedrig, so dass die Vorschrift verfassungswidrig ist. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt vor bereits bei mittlerer Kriminalität. Erforderlich für die Informationsweitergabe ist jedoch, dass es sich um „besonders schwere Straftaten“ handelt; außerdem ist verfassungsrechtlich vorausgesetzt, dass eine konkrete Gefahr besteht, was wohl nur bei der Verhinderung von Straftaten der Fall sein kann, nicht jedoch bei der Verfolgung.

Ausblick

Einen Großteil der Befugnisse des Landesamts für Verfassungsschutz im bayerischen Verfassungsschutzgesetz hat somit das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Da bleibt nicht viel an rechtmäßigen Befugnissen übrig. Allerdings wurde nur das Auskunftsrecht über Verkehrsdaten aus der Vorratsdatenspeicherung nach Artikel 15 Abs. 3 des Verfassungsschutzgesetzes für nichtig erklärt, hinsichtlich der übrigen Vorschriften stellte das Verfassungsgericht lediglich fest, dass diese mit dem Grundgesetz unvereinbar sind, und setzte dem Landesgesetzgeber eine Frist von 15 Monaten bis zum 31. Juli 2023, das Gesetz zu überarbeiten und verfassungsgemäß auszugestalten. Es bleibt also abzuwarten, welche Gesetzesnovellierung die bayerische Landesregierung vorschlägt. Nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts dürfte dies bei der Wohnraumüberwachung und der Online-Durchsuchung unmöglich und bei den verdeckten Ermittlern und V-Leuten kaum machbar sein. Aller Erfahrung nach wird sich die bayerische Landesregierung allerdings wohl nicht an die strikten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten, sondern versuchen, ihre vorgeblichen Sicherheitsideen beizubehalten und lediglich anders zu formulieren – mit der Konsequenz, dass dann auch gegen das neue Verfassungsschutzgesetz wiederum Verfassungsbeschwerde eingelegt werden muss und in weiteren fünf Jahren das Bundesverfassungsgericht wieder zu einer Entscheidung aufgerufen ist.

 

Dr. Till Müller-Heidelberg   Jahrgang 1944, Rechtsanwalt, ist Beiratsmitglied der Humanistischen Union, deren langjähriger Bundesvorsitzender er war. Er gehörte zu den Gründern des von der Humanistischen Union initiierten, jährlich erscheinenden Grundrechte-Reports, dessen Mitherausgeber er von 1997 bis 2009 war; er ist Gründungsmitglied der IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms). Er hat zahlreiche Stellungnahmen und Veröffentlichungen zu verfassungsrechtlichen Fragen, etwa zur Trennung von Staat und Kirche oder den gesetzlichen Regelungen und Praktiken der Sicherheitsbehörden verfasst.

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