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Buchbe­spre­chung

Buchbe­spre­chung Göde Both: Keeping Autonomous Driving Alive.

Dies ist eine höchst interessante ethnografische Studie über ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt zum autonomen Fahren. Schon der Titel läßt ahnen, dass es hier sich nicht um eine begeisterte Fortschritts-Erzählung handelt. Vielmehr entfalten sich in der begleitenden Beobachtung der Entwickelnden eines Projekts zum Autonomen Fahren, AutoNOMOS, die ungeheuren Schwierigkeiten, denen sie sich angesichts der Komplexität der Aufgabe ausgesetzt sehen, und die nicht nur für das universitäre Einzel-Projekt einen Erfolg fragwürdig erscheinen lassen. Dabei ist schon die Bedeutung autonomen Fahrens weder selbstverständlich, noch ist der Begriff ex ante auch nur einigermaßen klar definiert. Würden Autos, so wie Bahnen auf Schienen, in einen einigermaßen begrenzten und abgeriegelten Halbtunnel gesetzt, oder erhielten sie eine eigene, abgeschottete Fahrspur, so wäre das wohl durchführbar. Aber allein das Überholen wäre auch so ein schwer zu bewältigendes Problem. Zu fehleranfällig sind die Sensortechnik, die Bilderkennung unter Licht-, Wetter- und sonstigen Bedingungen, zu störanfällig das Machine Learning aus einer Datenerhebung unter sich dynamisch veränderlichen Kontexten, das laufend neu zu erlernende Umweltbedingungen vorfindet. Wohl kaum wird es je möglich sein, autonome Autos durch unsere alten Städte oder auf Landstraßen in Wald und Feld fahren zu lassen.

Aber die Diskussion solcher Fragen ist eigentlich nicht Thema dieses Buches, sondern die Begleitung der Forschenden im Projekt, das natürlich bestimmten Visionen folgt, Erwartungen und Versprechungen erfüllen will. Für diese gilt es, einen Kontext zu fabrizieren, in dem ein technologisches Projekt insoweit realisierbar wird, dass es die gewünschte Aufmerksamkeit erregt. Die Erwartungen sind also generativ, indem sie Struktur und Legitimierung erzeugen, Interesse wecken und Investitionen anlocken.

Der Autor entfaltet im Anfangskapitel eine profunde theoretische Basis der Methoden in den Bereichen der humanistischen Sozialwissenschaften, der Science Technology Studies und der Gender Studies. Das Forschungsdesign für eine noch wachsende Technologie ist notwendigerweise chaotisch, uneindeutig, instabil und unsicher. Daher kann auch das Ergebnis der ethnographische Studie nicht eindeutig sein. Für solche Projekte ist die Verwendung der Aktor-Netzwerk -Theorie geeignet. Zudem erlaubt sie, in einer Feldstudie nicht nur mit sozio-kulturellen, symbolischen Fragen, sondern auch mit der Materialität solch technologischer Projekte umzugehen. So kann er sein Forschungsdesign passgenau auf das von ihm untersuchte Feld, das Projekt AutoNOMOS an der Freien Universität Berlin richten. Ein besonderer Aspekt dieses Projektes war die Frage nach der Maskulinität der Vision autonomen Fahrens, während gleichzeitig zu erwarten ist, dass die Entwicklung neuer Transporttechnologien, die nicht an den hegemonialen Besitz privater Autos gebunden ist, die Ausübung von Männlichkeit destabilisieren würde.

Narrative und Erzählungen steuern die Erwartungen, Versprechungen und Visionen dieses Projekts. Im zweiten Kapitel wird der Weg von den visionären Erzählungen unter den Bedingungen der verteilten Arbeit an Computern hin zu autonomen Versuchsfahrten auf ausschließlich um männliche Informatiker, zumeist Robotiker dargestellt. Sie arbeiten vorwiegend am Computer, haben aber ein Labor mit prototypischen Fahrzeugen zur Verfügung, das sie mit Physikern teilen. Diese Fahrzeuge, MiG s genannt, haben zwei Rollen, einerseits als Forschungsinstrumente und andererseits als Demonstratoren u.a. für die Medien und die Projektträger.

Die Versuchsfahrten bilden die eigentliche „reale Welt“-Herausforderung für das Projekt. Hier erst zeigt sich, was alles zusammen bedacht, kontrolliert und beobachtet werden muss, was das Mosaik visionärer Erzählungen kontinuierlich auf den Boden der tentativen Machbarkeiten reduziert. Alle Projekte zum autonomen Fahren haben eine gemeinsame Gegnerschaft, die von fast allen europäischen Ländern ratifizierte U.N. Vienna Convention on Road Traffic, die verlangt, dass jedes Fahrzeug einen menschlichen Fahrer haben muss. Wenn also autonomes Fahren als unüberwacht angenommen werden soll, dann ist es auf öffentlichen Straßen illegal. Versuchsfahrten müssen daher einerseits als Ausnahmeversuche lizensiert sein und bedürfen zweitens eines Sicherheitskonzepts, das garantiert, dass die autonomen Fahrzeuge im Verkehr keine Gefahr für manuell gesteuerte Fahrzeuge darstellen. Diese Anforderungen führten im untersuchten Projekt dazu, dass kaum eine Institution bereit war, solche Versuchsfahrten zu gestatten, bis sich endlich ein privater Träger fand.

Im dritten Kapitel werden die „real-world“-Situationen auf einer gestatteten Teststrecke dargestellt. Das Testfahrzeug wird zwar über einen intern angebrachten Laptop über ein car-to-computer-interface gesteuert und überwacht, doch nach wie vor muss eine zweite Person vor dem Lenker sitzen. Der Laptop prozessiert Sensordaten und konstruiert ein Weltmodell, in dem es sich selbst als Fahrzeug lokalisiert, um durch den Verkehr zu navigieren. Die Repräsentation der Teststrecke repräsentiert nur eine beschränkte Anzahl von GPS-Punkten, die durch den Laptop verknüpft werden, ein Prozess, der Trajektorien-Generation genannt wird. Verschiedene potentielle Wege werden generiert und einige selektiert, die bestimmten Anforderungen genügen, mit dem Resultat eines Plans, welcher sodann für die Teststrecke verfolgt wird. Die Aufgaben sind also das Abbilden der Umgebung, die Lokalisierung des Fahrzeugs darin, die Wegeplanung und die Kontrolle des Fahrzeugs. Andere Verkehrsteilnehmer werden als Hindernisse auf den Trajektorien repräsentiert. Für sie werden drei Arten von Ressourcen genutzt, um den Verkehr zu verstehen: a priori Repräsentationen, Vermessungen und Szenario basierte Regeln. Kommt ein solches Hindernis vor das Fahrzeug, wird der Plan gestoppt und das Fahrzeug abgebremst. Für den Fahrer, der inaktiv im Auto sitzen muss, ist es eine sehr anstrengende Herausforderung, die Instrumente des Wagens nicht zu bedienen, auch wenn Fußgänger oder andere Fahrzeuge in die Nähe kommen. Both identifiziert diese androzentrische Subjektposition als den „einsamen entkörperten Fahrer“. Die Vorstellung kombiniert ein physikalistisches Verständnis des Verkehrs mit einer mechanistischen Anwendung eines legalen Verkehrscodes. Um die Komplexität der Situation zu reduzieren personifizieren und anthropomorphisieren die experimentierenden Forscher das Fahrzeug als männlichen Charakter und verwischen so die Unterscheidung zwischen Auto und Fahrer.

Im vierten Kapitel befasst sich Both mit den meist männlichen Entwicklern und stellt überrascht fest, dass sie keineswegs Autofreaks sind, die sich mit schnellen Wettfahrten identifizieren, manche kommen mit dem Fahrrad zur Arbeit. Nach der Verbindung zwischen dem automotiven Projekt und Männlichkeit befragt, stellen Sie diese infrage: die „Gehirnarbeit“ der Informatik sei geschlechtsneutral im Gegensatz zur Arbeit mit physischen technologischen Artefakten. Umso interessanter ist das Herausarbeiten der Frage, ob und wenn ja, wo die Sicherung des automatischen Fahrens als maskulines Projekt stattfindet. Jedenfalls wird es als ein Wettstreit um Vollautomatisierung verstanden. Auch das Zelebrieren des Fahrens in sportlicher Manier beim Herumbasteln an Software und der Hand am Auto widerspricht dem Ideal eines komfortablen, effizienten und sicheren Transports, der zentral in der Vorstellung des Projekts ist. Am Ende scheint die simultane Verbindung zwischen zwei Formen technischer Expertise, den mechanischen Kompetenzen bei der Modifikation von Fahrzeugen und den analytischen mathematischer Programmierung, beide traditionell symbolisch mit Maskulinität verknüpft, in der Robotik, und noch einmal in Verbindung mit KI symbolisch zu einer hierarchischen Höherstufung zu dienen. Dafür sprach die Identifikation eines der Projektteilnehmer wie als Knight Rider aus der Science Fiction-Literatur, wo Robotik, KI und selbst-lernende Autos in einem ernsthaften Spiel fusionieren, all dies durchaus als männlich angesehene Aktivitäten.

a der Erfolg des Projekts gegenüber den Geldgebern dokumentiert werden muss, sind die Video-Demonstrationen ein wichtiger Teil des Projekts. Im fünften Kapitel wird die subtile Arbeit der heroischen Erzählung zwischen Fake und Wirklichkeit beschrieben, wobei sich der Demonstrator in der Double Bind – Situation befindet, einerseits ein erfolgreiches Ziel in Aussicht stellen und gleichzeitig die Erwartungen realistisch beschränken zu müssen. Am Ende, im 6. Kapitel beschrieben, müssen die Entwickelnden ihre Arbeit verteidigen, aber auch vor sich selbst rechtfertigen, manche indem sie den technischen Erfolg preisen, andere indem sie das Projekt nicht als ein realistisches, als ein irreales, ansehen.

Die Arbeit schließt mit einem Kapitel über Care als zwar unsichtbarer, aber zentral notwendiger (symbolisch feministischer) Aspekt des Projekts in einer dynamisch veränderlichen Einbettung, im Kontext der Sorge um eine vom autonomen Fahrzeug nicht kontrollierbare Umgebung. Die verkörperte Kommunikation zwischen der Strasse und ihren anderen Nutzenden entgleiten der androzentrischen Imagination, die in der Konfiguration des MiG projektiert ist. Im MiG transportiert zu werden fühlt sich an wie das Fahren in einer Bahn mit unsichtbaren Schienen, und nicht wie Autofahren. Dies steht im Gegensatz zur Maskulinität (Robotiker) und den visionären Narrativen (Wettstreit um die Bewältigung der Materie), die das Projekt leiten. Ein sehr ausführlicher Literaturteil beschließt das Buch.

Das Lesen dieser Arbeit ist sehr zu empfehlen, zeigt sie doch die Komplexität all der Verknüpfungen und Verknotungen von symbolischen, technischen, realweltlichen, politischen und juristischen Aspekten, Förderungs-politischen und Arbeits-Kontexten der Mammut-Aufgabe in einer Nussschale eines solchen eingebetteten System-Projekts und demonstriert in unnachahmlicher Weise, mit welchem (und nur so) aufwändigen theoretischen und methodologischen Apparat sich der begleitenden Analyse des Projekts genähert werden kann.

 

Britta Schinzel, Freiburg 

 

Göde Both: 2020, Keeping Autonomous Driving Alive: An Ethnography of Visions, Masculinity and Fragility Opladen, Berlin, Toronto, Budrich Academic, 148 S., 24 €.

PDF-Ausgabe des Buches in Open Access: https://shop.budrich.de/wp-content/uploads/2021/04/9783966659833.pdf

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