Beitragsbild Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat gegen die AfD entschieden
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Das Oberver­wal­tungs­ge­richt für das Land Nordrhein-West­falen hat gegen die AfD entschieden

17. Mai 2024

Mit dem Urteil vom 13. Mai 2024 hat der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts in Münster Entscheidungen des Verwaltungsgerichts in Köln aus dem Jahre 2022 als rechtmäßig bestätigt. Danach darf das Bundesamt für Verfassungsschutz auch weiterhin nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung der AfD einsetzen. Es können V-Leute angeworben werden. Außerdem darf die Einstufung öffentlich gemacht und begründet werden.

Um in der Lage zu sein, die AfD als rechtsextrem einzustufen, braucht es keinen eigentlich grundrechtwidrigen Inlandsgeheimdienst. Dies hätten auch zahlreiche politische Gutachten und Bürgerrechtsorganisationen feststellen können. Auch wenn die Humanistische Union es begrüßt, dass die AfD als „rechtsextremer Verdachtsfall“ eingeordnet werden darf, halten wir den Verfassungsschutz weiterhin für eine abschaffungswürdige Institution. Ob die allgemeinen Praktiken des Verfassungsschutzes legitim oder illegitim sind, unabhängig davon, auf wem sie angewendet werden, war aber nicht Inhalt der Verhandlung.

Der Vorsitzende des Senats, Gerald Buck, brauchte nicht einmal 30 Minuten für die mündliche Begründung des Urteils. Die schriftliche Fassung wird auf der Internetseite des OVG für das Land Nordrhein-Westfalen veröffentlicht werden. Buck führte zur Urteilsbegründung folgendes aus:

„1.

Die AfD hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes stellen eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Beobachtung als Verdachtsfall dar. Dies gilt auch für politische Parteien, welche unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehen. Die Befugnis zur nachrichtendienstlichen Beobachtung besteht, wenn ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffene Vereinigung Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Bloße Vermutungen oder Spekulationen genügen nicht. Was für einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ausreicht, führt aber auch nicht zwangsläufig zur Annahme einer erwiesen extremistischen Bestrebung.

Nach Überzeugung des Senats liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind. Es besteht der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stellt eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie nicht zu vereinbaren ist. Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist nicht die deskriptive Verwendung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“, aber dessen Verknüpfung mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird. Hier bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für derartige diskriminierende Zielsetzungen. Dem Senat liegt eine große Anzahl von gegen Migranten gerichteten Äußerungen vor, mit denen diese auch unabhängig vom Ausmaß ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft systematisch ausgegrenzt werden und trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ihre vollwertige Zugehörigkeit zum deutschen Volk in Frage gestellt wird. Daneben bestehen hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind. In der AfD werden in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwendet, zum Teil in Verbindung mit konkreten, gegen die gleichberechtigte Religionsausübung von Muslimen gerichteten Forderungen. Nach Auffassung des Senats liegen bei der AfD darüber hinaus Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen vor, wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen.

2.

Der Senat war nicht gehalten, weitere Aufklärungsmaßnahmen betreffend die sogenannte Staats- und Quellenfreiheit der AfD zu ergreifen. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Parteiverbot bzw. zum Ausschluss von der Parteienfinanzierung folgt nicht, dass auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die Beobachtung durch den Verfassungsschutz etwaige Quellen „abgeschaltet“ werden müssen.

Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesamt bei der Einstufung und Beobachtung der AfD als Verdachtsfall aus sachwidrigen und parteipolitischen Motiven gehandelt hat oder handelt, liegen nicht vor.

3.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist auf der Grundlage des Bundesverfassungsschutzgesetzes auch berechtigt, die Öffentlichkeit über die Einstufung als Verdachtsfall zu informieren. Die bestehenden Anhaltspunkte sind, wie es das Gesetz vorsieht, hinreichend gewichtig. Dies gilt, obwohl die AfD durch die Bekanntgabe in ihren Rechtspositionen als politische Partei beeinträchtigt wird. Die maßgebliche Vorschrift ist durch den Gesetzgeber gerade im Hinblick auf die Verlautbarung von Verdachtsfällen geändert worden und soll auch diesen Fall umfassen. Eine sachlich richtige und weltanschaulich-politisch neutrale Bekanntgabe, dass das Bundesamt Informationen über mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen bei der AfD sammelt, belastet diese daher auch nicht unverhältnismäßig, jedenfalls solange mit der Bezeichnung als „Verdachtsfall“ in keiner Weise der Eindruck erweckt wird, es stehe fest, dass die AfD gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt. Dass das Bundesamt und sein Präsident im Übrigen bei der Art und Weise der Information der Öffentlichkeit und ihrer sonstigen Öffentlichkeitsarbeit nicht völlig frei sind, sondern gerichtlicher Kontrolle unterliegen, ist selbstverständlich, aber nicht Gegenstand der hiesigen Verfahren.

4.

Auch die JA kann nicht verlangen, dass die Beobachtung als Verdachtsfall und die entsprechende Bekanntgabe unterbleiben. Es finden sich hier ebenso tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, namentlich gegen die Menschenwürde von bestimmten Personengruppen. Es besteht der begründete Verdacht, dass die JA deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagen will. Dies ergibt sich im Ausgangspunkt aus dem bei Einstufung als Verdachtsfall noch geltenden „Deutschlandplan“ und den dortigen Ausführungen zur Migrationspolitik und Einwanderung. Die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen sind in der Folge nicht entfallen, obgleich es im Programm der JA Änderungen gegeben hat. Ebenso besteht der begründete Verdacht, dass ihre politischen Vorstellungen auf eine Missachtung der Menschenwürde und eine glaubensbezogene Diskriminierung von Muslimen zielen. Auch in Bezug auf die JA erweist sich die Bekanntgabe der Einstufung auf der Grundlage des Bundesverfassungsschutzgesetzes als gerechtfertigt.

Die Berufung der AfD betreffend den „Flügel“ hatte ebenfalls keinen Erfolg. Die ‑ zwischenzeitlich eingestellte – Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und später als „erwiesen extremistische Bestrebung“ waren rechtmäßig. Bei dem „Flügel“ handelte es sich um einen Personenzusammenschluss im Sinne des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Auch wenn keine formelle Mitgliedschaft bestand, besaß er eine hinreichend verfestigte Organisationsstruktur. Es bestand zunächst der Verdacht, dass sich die politischen Zielsetzungen des „Flügel“ gegen die Menschenwürde von bestimmten Personengruppen richteten. Die dokumentierten Äußerungen rechtfertigten am 12.03.2020, dem Tag der Bekanntgabe der „Hochstufung“, auch die über den Verdacht hinausgehende Schlussfolgerung, die Ziele des „Flügel“ richteten sich tatsächlich gegen den Schutz der Menschenwürde, namentlich von Deutschen mit Migrationshintergrund sowie deutschen und ausländischen Staatsangehörigen islamischen Glaubens. Die Bekanntgabe der Einstufungen war ebenfalls rechtmäßig.

5.

Der Senat hat in allen drei Verfahren die Revision nicht zugelassen; hiergegen kann Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden.

Aktenzeichen: 5 A 1216/22 (I. Instanz: VG Köln 13 K 207/20), 5 A 1217/22 (I. Instanz: VG Köln 13 K 208/20), 5 A 1218/22 (I. Instanz: VG Köln 13 K 326/21)

Mitteilung der Pressestelle des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13.05.2024“

Der Senat hat sich ausdrücklich gegen Vorwürfe von allen Seiten verwahrt, es gäbe keine Voreingenommenheit und mehrere Befangenheitsanträge seien rechtsstaatlich abgewehrt worden. In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Senatsvorsitzende „sein Verständnis einer wehrhaften Demokratie, wie das Grundgesetz sie fasst“, beschrieben und dazu ausgeführt:

„kein zahnloser Tiger, soll aufmerksam und durchsetzungsstark sein, beißt aber nur im nötigsten Fall zu und lässt sich nicht zu schnell provozieren. Das Grundgesetz mutet uns allen und sich selbst zu, viel auszuhalten.“

In den Gerichtsberichten aus Münster wurde auch erwähnt, dass „nach dem Münsteraner Urteil bald ein neues Gutachten des Verfassungsschutzes folgen dürfte. Auf dessen Grundlage könnte die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft werden. Das könnte die Partei vor den Landtagswahlen in diesem Jahr politisch weiter isolieren; in Sachsen, Thüringen und Brandenburg dürfte es dann noch schwieriger werden, mögliche Koalitionspartner zum ‚Einreißen der Brandmauer‘ zu drängen.“

Ernst Fricke

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